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Verringerung der Nutzungskonflikte bei der Tiefenlagerstandortwahl

Durch die Wahl des Standortes eines geologischen Tiefenlagers für radioaktive Abfälle kann es bei der Erkundung und Nutzung von wichtigen Rohstoffen, von Geothermie, Mineralquellen oder Thermen zu Nutzungskonflikten im Untergrund kommen. Im Hinblick auf die Langzeitsicherheit ist es deshalb notwendig, Nutzungskonflikte soweit möglich zu vermeiden. Allfällige sicherheitstechnische Auswirkungen durch Nutzungskonflikte sind ein Kriterium im Standortauswahlverfahren und werden entsprechend beurteilt.

Radioaktive Abfälle werden für lange Zeiträume in tiefen geologischen Schichten eingelagert. Da davon ausgegangen werden muss, dass in der fernen Zukunft keine Kenntnis über den Standort oder den Inhalt eines Tiefenlagers mehr vorhanden ist, wird das Tiefenlager durch die Standortwahl möglichst gut vor unbeabsichtigten Einflüssen geschützt.

Die Wahrscheinlichkeit eines zukünftigen, unbeabsichtigten Eindringens in das Tiefenlager kann verringert werden, falls im geologischen Umfeld keine Rohstoffe in besonderem Mass vorkommen. Im Standortauswahlverfahren werden deshalb die nutzungswürdigen Rohstoffe und die sich daraus allfällig ergebenden Nutzungskonflikte bewertet (Kriterium 2.4).

Zu den möglichen Nutzungskonflikten gehören:

  • Abbau von Bausteinen, Salzen und Erzen
  • Gewinnung von Kohle, Erdgas und Erdöl
  • Förderung von Mineral- und Thermalwasser
  • Gewinnung von Erdwärme (z. B. Erdwärmesonden)
  • Verpressung von Kohlendioxid in den geologischen Untergrund (sogenannte CO2-Sequestrierung)

Insbesondere wird beurteilt, ob im oder unterhalb des Wirtgesteins bzw. des einschlusswirksamen Gebirgsbereichs aus heutiger Sicht wirtschaftlich nutzungswürdige Rohstoffe in besonderem Mass vorkommen. Beurteilt wird ferner, ob eine Erschliessung und Nutzung der Rohstoffe die Barrierenwirkung des Wirtgesteins beeinträchtigen oder das Lager direkt treffen könnte.

Abb. 1: Der Flächenbedarf eines Tiefenlagers ist sehr klein gegenüber der Ausdehnung des Nordschweizer Permokarbontrogs. (Bild: Nagra)

Sedimente der Standortgebiete wurden auf Ressourcen untersucht

Die Standortgebiete Jura Ost, Nördlich Lägern und der südliche Teil von Zürich Nordost liegen oberhalb der Sedimentfüllung des Nordschweizer Permokarbontrogs. Die Sedimente wurden zwischen 1957 bis 2013 unter anderem von der Aktiengesellschaft für schweizerisches Erdöl (SEAG) intensiv auf Kohlenwasserstoffe untersucht. Dabei wurden mit den Bohrungen Weiach und Weiach-2 in Tiefen von 1400 bis 1750 Meter insgesamt ca. 40 bis 50 Meter mächtige Serie mit untergeordneten Kohleflözen (schichtparalleles Vorkommen von Kohle im Sediment) nachgewiesen. Diese enthalten mehrere 4 bis 7 Meter mächtige Einzelflöze. Ausgehend von seismischen Messungen wird eine 400 Quadratkilometer grosse Abbaufläche postuliert. Ebenfalls aufgrund seismischer Befunde werden zudem im Raum Siglistorf konventionelle Erdgasvorkommen auf einer Fläche von ca. 160 Quadratkilometern vermutet. Eine 2007 auf dieses Vorkommen ausgerichtete Explorationskampagne wurde jedoch ohne die Ausführung einer Tiefbohrung aus wirtschaftlichen Gründen wieder eingestellt. Auch das Vorhandensein und die Abbauwürdigkeit unkonventioneller Erdgasvorkommen wie z. B. Kohleflözgas (coal bed methane), Schiefergas (shale gas) oder Erdgas in dichten Gesteinen (tight gas) wurden bereits untersucht. Bei den Anfang der 2000er-Jahre in der Bohrung Weiach-2 ausgeführten Fördertests konnte indes kein Gas gefördert werden. Auch die seit 2019 ausgeführten und bis in den oberen Teil der Trogfüllungen reichenden Tiefbohrungen der Nagra zeigen keine nennenswerten Kohlenwasserstoff-Gehalte. Der Kenntnisstand zur Kohlenwasserstoff-Exploration sowie Ausführungen zur Abschätzung der Wirtschaftlichkeit sind von W. Leu zusammenfassend im NAB 14-70 darstellt.

Abb. 2: Typen der Geothermie. Petrothermale Anlagen wurden in der Schweiz bisher noch nicht realisiert. (Quelle: Geothermie-Schweiz / EnergieSchweiz)

Keine Hinweise auf besonders grosse Steinkohle- oder Kohlenwasserstoffvorkommen

Aufgrund der Tiefe der nachweislich und potentiell Kohlenwasserstoff führenden Schichten sowie deren räumlich variabler Verteilung werden diese Rohstoffe jedoch aus heutiger Sicht als kommerziell nicht abbaubar angesehen. Die räumliche variable Verteilung von Rohstoffen verringert zudem die Aussagekraft von einzelnen Tiefbohrungen. Eine weitere detaillierte untertägige Untersuchung des Permokarbontrogs ist aus Sicht des ENSI für die Standortwahl nicht zielführend, da die vorliegenden geologischen Kenntnisse keine Hinweise geben, dass Kohlenwasserstoffe oder Steinkohle in den Standortgebieten Jura Ost, Nördlich Lägern und Zürich Nordost in einem besonderen Mass vorkommen. Eine allfällige zukünftige Nutzung von Kohlenwasserstoffen in der Schweiz wird durch den beschränkten Flächenbedarf eines Tiefenlagers im Vergleich zur Ausdehnung der Permokarbontröge in der Nordschweiz nicht signifikant eingeschränkt.

Schutzbereich um das Tiefenlager wird festgelegt

Neben der Wahl eines geeigneten Standorts im Hinblick auf die Langzeitsicherheit sind zusätzlich behördliche Vorkehrungen vorgesehen, um das Tiefenlager vor schädlichen Einwirkungen zu schützen. Diese betreffen die gesetzlich vorgeschriebene Festlegung eines untertägigen Schutzbereichs. Der Bund sorgt dafür, dass die Informationen über das Lager, die eingelagerten Abfälle und den Schutzbereich aufbewahrt werden und die Kenntnisse darüber erhalten bleiben. Er kann entsprechende Daten anderen Staaten oder internationalen Organisationen mitteilen.

Im Falle der hochradioaktiven Abfälle wird durch die ENSI-Richtlinie G03 ein zusätzlicher Schutz vorgeschrieben. So haben die Entsorgungspflichtigen den vollständigen Einschluss der hochaktiven Abfälle in den Tiefenlagerbehältern während mindestens tausend Jahren ab deren Einlagerung aufzuzeigen. Dies hat zur Folge, dass radiologische Auswirkungen durch allfällige Einwirkungen in der Nähe des Tiefenlagers während der Zeit des kompletten Einschlusses in den Behältern ausbleiben.

Abb. 3: Die Gewinnung von Rohstoffen wie Gesteinsabbau, Erdölförderung, oder die Thermalwassernutzung können ausserhalb des Schutzbereichs wie bisher erfolgen. Innerhalb des Schutzbereichs ist die Nutzung eingeschränkt. (Quelle: ENSI)

ENSI hat Angaben der Nagra zu Nutzungskonflikten detailliert geprüft

Das ENSI hat in Etappe 2 des Sachplans die Angaben der Nagra zur Frage von Nutzungskonflikten detailliert betrachtet und seine Beurteilung in ENSI 33/539 mit den folgenden Schlussfolgerungen zusammengefasst:Das Kriterium 2.4 «Nutzungskonflikte» wurde anhand von fünf Indikatoren bewertet. Das ENSI konnte den Bewertungen der Nagra für die Indikatoren «Rohstoffvorkommen innerhalb des Wirtgesteins», «Rohstoffvorkommen unterhalb des Wirtgesteins», «Rohstoffvorkommen oberhalb des Wirtgesteins» und «Mineral- und Thermalwassernutzung» zustimmen. Unterschiede in der Bewertung betrafen den Indikator «Geothermie und weitere energiebezogene Nutzungen des Untergrunds» für die beiden Lagerperimeter im zurückgestellten Standortgebiet Jura-Südfuss wegen der in den Bohrungen Gösgen und Oftringen beobachteten positiven Wärmeanomalie. Nach Ansicht des ENSI waren die Anforderungen und Bewertungsskalen für die aufgeführten Nutzungskonflikte für Etappe 2 SGT stufengerecht.

Externe Experten haben
Nutzungskonflikte zusätzlich beurteilt

Zusätzlich beauftragte das ENSI in Etappe 2 externe Experten, um die Frage von Nutzungskonflikten zu beurteilen. Sie kamen in ENSI 33/454 zu folgenden Schlüssen: «Die Experten kommen nach Prüfung des NTB 14-02 Dossier VII und weiterer Grundlagenberichte der Nagra sowie relevanter Fachliteratur zum Ergebnis, dass die Nutzungskonflikte umfassend dargestellt und behandelt wurden. Die potenziellen Nutzungskonflikte sind nach Ansicht der Experten ausreichend konservativ und genügend standortspezifisch beurteilt worden. In Gebieten, wo die Kenntnisse über die im tiefen Untergrund vorhandenen Ressourcen und ihre Abbauwürdigkeit nur schlecht bekannt und einschätzbar sind, wurden aus heutiger Sicht eher konservative Annahmen gemacht

Nutzungskonflikte sind Thema im
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