Die Nagra hat heute aufgrund der Resultate ihrer erdwissenschaftlichen Untersuchungen bekanntgegeben, für welche Standorte sie Rahmenbewilligungsgesuche zuhanden des Bundesrats einreichen will. Dies wird voraussichtlich Ende 2024 geschehen. Das ENSI wird diese Rahmenbewilligungsgesuche aus sicherheitstechnischer Sicht prüfen und ein Gutachten dazu erstellen. Der Schutz von Mensch und Umwelt muss von der Nagra nachgewiesen werden.
Das ENSI wird im Rahmen der Überprüfung der Rahmenbewilligungsgesuche insbesondere folgende Fragestellungen prüfen:
- Ist die Zuteilung der Abfälle auf die beiden Lagerfelder für schwach- und mittelaktive Abfälle (SMA) und für hochaktive Abfälle (HAA) nachvollziehbar?
- Ist das Vorgehen des Gesuchstellers bei der Erarbeitung des Standortvorschlags transparent und nachvollziehbar?
- Hat der Gesuchsteller die notwendige geologische Information für die Standortwahl und den gewählten Standort erhoben?
- Sind die Resultate der Sicherheitsanalysen für den Standortvergleich nachvollziehbar?
- Sind die Bewertungen der 13 sicherheitstechnischen Kriterien des Sachplans geologische Tiefenlager (SGT) und die daraus abgeleitete gesamtheitliche Bewertung nachvollziehbar?
- Kann das ENSI dem Standortvorschlag bezüglich Sicherheit und technischer Machbarkeit zustimmen?
- Kann mit dem vorgeschlagenen geologischen Tiefenlager der Schutz von Mensch und Umwelt sichergestellt werden?
- Sind die vom Gesuchsteller für den gewählten Standort hergeleiteten Eignungskriterien zweckmässig?
- Ist der vom Gesuchsteller vorgeschlagene Schutzbereich im Hinblick auf die Gewährleistung der Langzeitsicherheit des geologischen Tiefenlagers zweckmässig?
Für die Rahmenbewilligungsgesuche hat die Nagra detaillierte Unterlagen einzureichen. Zentral sind für das ENSI der Bericht zur Begründung der Standortwahl, der Sicherheitsbericht und der Sicherungsbericht.
Rolle des ENSI in der Aufsicht über Tiefenlager
Das Vorgehen des ENSI bei der Aufsicht über geologische Tiefenlager wurde 2017 in einem Positionspapier erläutert. Für das ENSI stellen sich folgende Herausforderungen: Es überprüft die Standortvorschläge und verfolgt die Weiterentwicklung der Lagerkonzepte im Hinblick auf die spätere Realisierung. Zudem beaufsichtigt das ENSI die erdwissenschaftlichen Untersuchungen bei den Sondierbohrungen während der Etappe 3 des SGT und bei der Erkundung untertage nach der Erteilung einer Rahmenbewilligung.
Das ENSI konkretisiert die gesetzlichen Vorgaben auf Richtlinienstufe und gibt Schutzziele, Leitsätze und Sicherheitskriterien vor. Die Nagra hat Lösungsvorschläge für die Realisierung geologischer Tiefenlager zu entwickeln und dem ENSI zur sicherheitstechnischen Prüfung einzureichen. Die zentrale Aufgabe des ENSI besteht darin, die vorgeschlagenen Lösungen fachtechnisch zu begutachten und dabei zu beurteilen, ob die Schutzziele und Sicherheitskriterien eingehalten werden.
Die Rollen und Aufgaben der Entsorgungspflichtigen und der Aufsichtsbehörden sind in der Gesetzgebung und im SGT definiert. Nach Artikel 31 des Kernenergiegesetzes sind die Betreiber von Kernanlagen verpflichtet, die aus ihren Anlagen stammenden radioaktiven Abfälle auf eigene Kosten sicher zu entsorgen. Zur Entsorgungspflicht gehören auch die notwendigen Vorbereitungsarbeiten, die Forschung und erdwissenschaftlichen Untersuchungen sowie die rechtzeitige Bereitstellung eines geologischen Tiefenlagers.
Das ENSI ist offen für die Anliegen der Anspruchsgruppen und nimmt sicherheitstechnische Fragestellungen frühzeitig auf. Es tut dies insbesondere im Rahmen seiner sicherheitstechnischen Gutachten, der Stellungnahmen zum Forschungsprogramm der Nagra sowie der regulatorischen Sicherheitsforschung. Es berücksichtigt insbesondere auch die Meinung der Eidgenössischen Kommission für nukleare Sicherheit KNS und der kantonalen Gremien. Dazu kommt der sicherheitstechnische Austausch im Rahmen des Technischen Forums Sicherheit, in dem Fragen der Bevölkerung diskutiert werden.
Aufgaben des ENSI verändern sich
Falls die Rahmenbewilligungen nach der sicherheitstechnischen Prüfung und dem Entscheid des Bundesrat, des Parlament und nach einem allfälligen fakultativen Referendum um 2030 Rechtskraft erlangen sollten, verlagern sich die Aufgaben des ENSI von der Aufsicht über die Standortsuche eines Tiefenlagers hin zur Aufsicht über die Entwicklung und den Bau eines Tiefenlagers an einem bestimmten Standort. Der Schwerpunkt der Aufsicht liegt bei dem sich über Jahrzehnte erstreckenden Prozess auf der Prüfung des Funktionsnachweises der natürlichen und technischen Sicherheitsbarrieren sowie der sicheren, bautechnischen Realisierung eines Tiefenlagers.
Im ENSI befassen sich aktuell elf Fachspezialisten hauptsächlich mit der Prüfung der Unterlagen der Nagra. Die Fachspezialisten verfügen über Expertise in den Gebieten der Geologie, (Geo-)Physik, Chemie, des Bauingenieurwesens, der Zwischenlagerung, der Transporte und der Bautechnik.
Das ENSI führt eigene Berechnungen der Ausbreitung von radioaktiven Stoffen oder zur Temperatur- und Druckentwicklung in den Gesteinsschichten durch. Um sich zu vergewissern, dass die eigenen Modellierungen korrekt durchgeführt werden, arbeitet das ENSI in internationalen Projekten (bspw. BenVaSim – Benchmarking zur Verifizierung und Validierung von TH2M-Simulatoren oder im Projekt DECOVALEX (DEvelopment of COupled models and their VAlidation against EXperiments in nuclear waste isolation) mit. Dabei werden die Resultate eigener Berechnungen mit denjenigen internationaler Teams verglichen.
Zusätzliches Know-how in der EGT
Die Expertengruppe Geologische Tiefenlagerung EGT setzt sich aus Fachleuten des Hochschulbereichs und der Privatwirtschaft zusammen, die in keinem Auftragsverhältnis zu den Projektanten geologischer Tiefenlager in der Schweiz stehen. Die EGT besteht derzeit aus acht Mitgliedern. Bei einzelnen Fachfragestellungen bezieht das ENSI die Beurteilungen dieser externen Experten mit ein.
Forschung des ENSI
Um seine gesetzliche Aufgabe erfüllen zu können, setzt das ENSI eigene Forschungsprojekte um und informiert jährlich über den Fortschritt und die Resultate dieser Arbeiten. Die Themen decken Aspekte des Transports und der Zwischenlagerung von radioaktiven Abfällen, die Eigenschaften und das Verhalten des Wirtgesteins Opalinuston durch Experimente im Felslabor Mont Terri und in Labors sowie die Datierung von durch Gletscher abgelagerten Gesteinsschichten in der Nordschweiz ab.
Vorgaben für die Realisierung eines Tiefenlagers
Die Nagra hat bei der Realisierung des Tiefenlagers die Vorgaben aus der Gesetzgebung umzusetzen. Das ENSI beschreibt in Richtlinien, wie die Nagra diese Vorgaben umsetzen muss.
Das ENSI hat im Jahr 2018 die sicherheitstechnischen Vorgaben für die Etappe 3 des SGT präzisiert. Dabei wurden auch Empfehlungen der Kommission für nukleare Sicherheit KNS, der Expertengruppe geologische Tiefenlagerung EGT, des Ausschusses der Kantone AdK sowie der Expertengruppe-Schweizer-Tiefenlager ESchT berücksichtigt.
Die Richtlinie ENSI-G03 beschreibt die Anforderungen für die radiologische Sicherheit geologischer Tiefenlager und der dazugehörigen Oberflächen- und Nebenzugangsanlagen. Mit der geologischen Tiefenlagerung sind radioaktive Abfälle so zu entsorgen, dass der Schutz von Mensch und Umwelt vor ionisierender Strahlung gewährleistet ist. Ausserdem finden sich darin die Anforderungen an die Auslegung, den Bau, den Betrieb und die Langzeitsicherheit eines geologischen Tiefenlagers. Auch die Anforderungen an den Nachweis der Sicherheit für die Betriebs- und Nachverschlussphase sind in der Richtlinie geregelt. Damit ergänzt und konkretisiert das ENSI die übergeordnete Gesetzgebung.
In der Richtlinie berücksichtigt das ENSI die Entwicklung von Wissenschaft und Technik sowie den Stand des Plans, den die Entsorgungspflichtigen für die Realisierung geologischer Tiefenlager alle fünf Jahre anpassen und im Entsorgungsprogramm dokumentieren müssen. Auch die Empfehlungen der WENRA (Western European Nuclear Regulators Association) und der IAEA (International Atomic Energy Agency) sind in die Richtlinie eingeflossen.
Das Regelwerk des ENSI im Bereich geologische Tiefenlager lässt das Spektrum der Auslegungsmöglichkeiten eines geologischen Tiefenlagers möglichst lange offen, damit die Entsorgungspflichtigen die jeweils aktuellen Kenntnisse des geologischen Untergrundes und den aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik berücksichtigen können.