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„Für das ENSI zählen nur Fakten und die Sicherheit“

Das ENSI hat den Nachweis der Axpo Power AG akzeptiert, wonach der Reaktordruckbehälter von Beznau 1 sicher ist. Im Interview erklärt Georg Schwarz, stellvertretender ENSI-Direktor und Leiter des Aufsichtsbereichs Kernkraftwerke, die Hintergründe.

Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI hat den Nachweis der Axpo Power AG akzeptiert, wonach der Reaktordruckbehälter von Beznau 1 sicher ist. Im Interview erklärt Georg Schwarz, stellvertretender ENSI-Direktor und Leiter des Aufsichtsbereichs Kernkraftwerke, die Hintergründe.

Warum hat die Untersuchung so lange gedauert?

Georg Schwarz: Dies war ein komplexer, aufwändiger und neuer Nachweis, für den es bisher keine Erfahrungen gibt. Die Axpo hat solange gebraucht, um eine ausreichende Anzahl von Materialproben auszuwerten, damit abgesicherte Schlüsse gezogen werden konnten. Die Grundlagen sind erst jetzt ausreichend solide, um mit genügender Sicherheit einen Entscheid treffen zu können.

Lag das Problem also bei der Axpo? Oder hat es so lange gedauert, weil das ENSI immer neue Nachforderungen gestellt hat?

Wie gesagt, ein solcher Nachweis ist kein Standardnachweis. Deshalb musste die Axpo zuerst ein geeignetes Vorgehen entwickeln und uns zur Genehmigung unterbreiten. Den im November 2016 eingereichten Nachweis der Axpo haben wir zurückgewiesen. Wir waren zum Schluss gekommen, dass die Anzahl der Proben, aufgrund derer die Axpo ihre Schlüsse zog, zu klein war. Darüber hinaus waren wir der Ansicht, dass eine Reihe anderer zusätzlicher Untersuchungen durchzuführen sei. Dieser Prozess war auf Seiten der Axpo aufwändig und langwierig. Dass das ENSI in einem solch komplexen Geschäft Nachforderungen stellt, ist ein üblicher Prozess und kein Hinweis auf mangelhafte Arbeit des Beaufsichtigten.

Hat die Axpo Druck auf das ENSI ausgeübt, um jetzt wieder anfahren zu dürfen?

Das ENSI als unabhängige Aufsichtsbehörde lässt sich nicht unter Druck setzen. Das gilt auch für allfällige Druckversuche von kernenergiekritischer Seite. Für das ENSI zählen nur Fakten und die Sicherheit.

Sie haben bereits sehr rasch nachdem die Befunde in Beznau 1 entdeckt worden waren, ein beratendes internationales Expertengremium, das sogenannte International-Review-Panel IRP, eingesetzt. Was war die Rolle des IRP? Hat es mitentschieden?

Nein. Den Entscheid, dass das KKW Beznau 1 wieder anfahren darf, hat das ENSI gefällt. Das ENSI hat die internationalen Experten beigezogen, um die Fachleute des ENSI mit ihrem Fachwissen zu unterstützen und zu beraten. Das IRP hat unabhängig vom ENSI eine eigene Beurteilung gemacht und ist dabei zum selben Schluss gekommen wie das ENSI: Die gefundenen Einschlüsse im Reaktordruckbehälter von Beznau 1 haben keinen negativen Einfluss auf die Sicherheit.

Warum kann man mit Sicherheit sagen, dass es sich bei den Befunden wirklich nur um Aluminiumoxid-Einschlüsse handelt? Man hat ja das Grundmaterial des Reaktordruckbehälters nicht metallurgisch untersuchen können

Zur Validierung der Ultraschallprüfung und zur Bereitstellung von geeignetem Untersuchungsmaterial wurde eine originalgetreue Kopie des Rings C hergestellt – eine sogenannte Replika. Die Ultraschallbilder in der Replika und im Original-Ring C sind vom Charakter sowie der Grösse und Amplitudenverteilung vergleichbar. Der Herstellungsprozess der Replika hat den Herstellungsprozess des Rings C nachgebildet. Die metallurgische Untersuchung der Replika hat gezeigt, dass die Ultraschallanzeigen durch Aluminiumoxid verursacht werden.

Wie kann man von der nichtbestrahlten Replika auf den bestrahlten und versprödeten RDB schliessen? In Belgien wurden die neuen Proben ja noch extra bestrahlt.

Die Vorgänge und Einflussgrössen der Materialversprödung des Reaktordruckbehälters sind sehr gut bekannt. Ein wichtiger Faktor ist der Anteil von Kupfer, Nickel und Phosphor in der Stahlzusammensetzung. In mikroskopischen Untersuchungen am Replika-Material konnte gezeigt werden, dass sowohl in der unmittelbaren Nähe als auch in den Bereichen zwischen den Aluminiumoxid-Einschlüssen keine Anreicherung von Kupfer, Nickel und Phosphor vorkommt. Im Unterschied zu Belgien haben die im Reaktor eingesetzten Vorauseilproben zur Bestimmung des Versprödungsgrades die gleiche chemische Zusammensetzung wie der Bereich von Ring C mit den Befunden.

Die Informationen zur Wärmebehandlung des Materials für Beznau 1 sind nicht vollständig. Wie kann dennoch sichergestellt werden, dass das Herstellungsverfahren identisch war?

Für den Reaktordruckbehälter von Beznau 1 liegen umfangreiche Unterlagen zur Herstellung und den Wärmebehandlungen weitgehend vollständig vor. Die erste Wärmebehandlung nach dem Schmieden zur Unterstützung der Wasserstoffdiffusion ist für den RDB von Beznau 2, welcher nach dem gleichen Verfahren wie der RDB von KKB 1 hergestellt wurde, dokumentiert. Im Falle von KKB 1 fehlen diese Unterlagen, es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass diese Wärmebehandlung im KKW Beznau 1 ebenfalls durchgeführt wurde. Da die Befunde von Beznau 1 nicht auf Wasserstoff-Flocken zurückzuführen sind, sind die Wärmebehandlungen in Beznau für den Sicherheitsnachweis nicht so zentral wie in Belgien.

Das Aluminiumoxid bindet nicht mit dem umliegenden Stahl. Handelt es sich also einfach gesagt um Löcher, wie gewisse kernenergiekritische NGOs gesagt haben?

Nach dem Giessen des Rohlings wurde in den 60er-Jahren Aluminium beigegeben, um die Reste des im Stahl vorhandenen Sauerstoffs zu binden. Es ist deshalb normal, dass im Stahl Aluminiumoxid vorhanden ist. Die Besonderheit für den RDB in Beznau besteht darin, dass die Einschlüsse zu Agglomeraten (Mikroporen, Grössenordnung im Millimeterbereich) zusammengelagert sind. Die einzelnen Aluminiumoxid-Körner sind nicht fest mit der Stahlmatrix verbunden. Insofern handelt es sich tatsächlich um mit Aluminiumoxid-Körnern gefüllte Poren.

Für Bereiche mit höherer Dichte und Amplitude gibt es nicht genügend Proben. Weshalb kann man dennoch sagen, dass auch diese Stellen halten?

Diese Bereiche wurden rechnerisch bewertet. Für die Beurteilung nimmt man an, dass es sich beim Befund um einen Riss handelt. In Bezug auf die Strukturintegrität des Bauteils sind Risse die ungünstigste Annahme, weit schlimmer als beispielsweise die vorher erwähnten Poren mit den Aluminiumoxidkörnern. Die bruchmechanischen Berechnungen haben gezeigt, dass der RDB auch unter dieser Worst-Case-Annahme sicher ist.

Warum hat man diese Einschlüsse nach der Herstellung nicht entdeckt? War das eine schlampige Abnahmeprüfung?

Die Untersuchungen der Axpo haben gezeigt, dass Wasserstoffflocken wie sie in Belgien festgestellt wurden, bei den Herstellungsabnahmeprüfungen des Reaktordruckbehälters von Beznau wahrscheinlich entdeckt worden wären. Die Ultraschallsignale der Aluminiumoxideinschlüsse sind jedoch zu schwach, um mit den Ultraschallgeräten der späten 60er-Jahre registriert zu werden.

Auch im Ring E wurden 755 Anzeigen festgestellt. Diese konnten aber aus technischen Gründen nicht zweifelsfrei identifiziert werden. Wie kann man dennoch davon ausgehen, dass der Ring E sicher ist?

Es trifft nicht zu, dass die Anzeigen in Ring E nicht zweifelsfrei identifiziert werden konnten. Richtig ist, dass der Ring E nur mit einem weniger genauen Ultraschallverfahren geprüft werden konnte als die anderen Ringe. Dies weil der Ring E als Übergang zur Bodenkalotte konusförmig und nicht zylindrisch geformt ist. Die Anzeigen im Ring E wurden bruchmechanisch bewertet und man kam dabei zum Schluss, dass sie die Integrität des RDB auch für den Ring E gewährleistet ist.

Warum können Sie ausschliessen, dass die Befunde nicht Folge der Alterung sind?

Die metallurgische Untersuchung der Replika hat bestätigt, dass die Ultraschallanzeigen durch Aluminiumoxid verursacht werden. Aluminiumoxid entsteht bei der Herstellung des Rohlings, bevor die Schmelze abgekühlt ist. Nach der Erstarrung des Stahls kann sich kein Aluminiumoxid mehr bilden.

Für die Ermittlung der Sprödbruch-Referenztemperatur wird nun die Methode II-B der Richtlinie ENSI-B01 angewandt, statt der klassischen Methode I, bei der der Grenzwert bereits überschritten wurde. Wird der RDB damit „schöngerechnet“?

Die Auswertung der klassischen Kerbschlagbiegeversuche – also der Methode I – führt zu sehr konservativen Resultaten, weil die Methode auf rein empirischen Grundlagen beruht und deshalb grosse Sicherheitszuschläge angewandt wurden. Die beiden moderneren Methoden II-A und II-B der Richtlinie ENSI-B01 basieren hingegen auf bruchmechanischen Versuchen und erlauben eine direkte Übertragbarkeit der Bruchzähigkeit auf das Bauteil. Die mithilfe der beiden Methoden des Typs II abgeleiteten Aussagen zum wirklichen Zustand des Stahls des Reaktordruckbehälters sind deshalb genauer. Das ENSI hat aber von der Axpo verlangt, die konservativere Methode II-B anzuwenden. Die Methode II-B ist eine Kombination aus Master-Curve im unbestrahlten Ausgangszustand und Kerbschlagbiegeproben aus der Methode I zur Bewertung des Versprödungseinflusses.

Inwiefern sind die zur Auswahl stehenden Methoden international akzeptiert?

Die Verwendung von bruchmechanischen Versuchen zur Ermittlung der Sprödbruch-Referenztemperatur, der sogenannten Master-Curve-Methode, wurde durch umfangreiche internationale Forschung über viele Jahre hinweg etabliert und ist in internationalen Normen und Standards anerkannt. Die Anwendung der Methode ENSI B01 II-B wurde auch vom internationalen Expertengremium IRP empfohlen.

Haben die Aluminiumoxid-Einschlüsse einen Einfluss auf die Lebensdauer des Kernkraftwerks?

Die Aluminiumoxid-Einschlüsse haben weder einen negativen Einfluss auf die Materialeigenschaften noch auf die Alterung.

Kann Beznau 1 nun also 60 Jahre betrieben werden?

Es ist bekannt, dass der RDB von KKB 1 einen höheren Versprödungsgrad aufweist als vergleichbare Reaktoren. Ursache ist eine ungünstigere chemische Zusammensetzung des Stahles. Die Auswertung der Bestrahlungsprobensätze, die mehr als 60 Betriebsjahre abdecken, weist jedoch aus, dass der RDB hinsichtlich Sprödbruch-Sicherheit 60 Jahre betrieben werden kann. Die Axpo wird per Mitte 2018 einen neuen Langzeitbetriebsnachweis für die Betriebsdauer von 50 bis 60 Jahren einreichen, den das ENSI prüfen wird.

Beznau 1 steht nun bereits seit drei Jahren still. Ist es nicht gefährlich, das KKW nun wieder anzufahren – Stichwort Standschäden? Immerhin kam es ja in Lucens gerade in der Folge des längeren Stillstands zur Katastrophe.

Beznau 1 wurde auch während des Stillstands in den vergangenen drei Jahren laufend gewartet und geprüft. Bevor das ENSI nach dem Beladen des Reaktordruckbehälters die Freigabe zum Wiederanfahren erteilt, wird es sich mittels Inspektionen davon überzeugen, dass die Anlage in einem betriebsbereiten Zustand ist.

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