Die International Nuclear Safety Advisory Group (INSAG) der International Atomic Energy Agency (IAEA) hat das Konzept der gestaffelten Sicherheitsvorsorge (defence in depth) 1996 erstmals umfassend dargelegt und damit im Wesentlichen die bereits vorher gelebte Praxis dokumentiert.
Das Konzept der gestaffelten Sicherheitsvorsorge besteht aus fünf hintereinander gestaffelten Ebenen von Vorkehrungen, von denen jeweils die nächste dazu dient, Schwachstellen aufgrund von Fehlern oder Komponentenversagen der davor liegenden Ebenen aufzufangen. Die Vorkehrungen umfassen technische, administrative und organisatorische Massnahmen.
Die 5 Ebenen der gestaffelten Sicherheitsvorsorge
Anforderungsfall: Normalbetrieb
Ziel: Vermeidung von Betriebsstörungen
Systeme, Ausrüstungen und Massnahmen: Betriebssysteme einschliesslich der erforderlichen Versorgungssysteme und Leitanlagen
Anforderungsfall: Betriebsstörungen
Ziel: Beherrschung von Betriebsstörungen
Systeme, Ausrüstungen und Massnahmen: Begrenzungssysteme einschliesslich der erforderlichen Versorgungssysteme und Leitanlagen
Anforderungsfall: Auslegungsstörfälle
Ziel: Beherrschung von Auslegungsstörfällen, sodass ein Kernschaden verhindert wird
Systeme, Ausrüstungen und Massnahmen: Sicherheits- und Notstandsysteme einschliesslich der erforderlichen Versorgungssysteme und Leitanlagen
Anforderungsfall: Auslegungsüberschreitende Störfälle ohne schweren Kernschaden
Ziel: Beherrschung bestimmter auslegungsüberschreitender Störfälle
Systeme, Ausrüstungen und Massnahmen: Notfallsysteme und Notfallausrüstungen (präventive Notfallmassnahmen)
Anforderungsfall: Auslegungsüberschreitende Störfälle mit schwerem Kernschaden
Ziel: Begrenzung der Freisetzung radioaktiver Stoffe
Systeme, Ausrüstungen und Massnahmen: Notfallausrüstungen (mitigative Notfallmassnahmen)
Anforderungsfall: Schwere Notfälle mit grösserer Freisetzung radioaktiver Stoffe in die Umgebung
Ziel: Linderung der radiologischen Auswirkungen in der Umgebung
Systeme, Ausrüstungen und Massnahmen
- Massnahmen zur Minimierung der Strahlendosis der Bevölkerung und des Personals
Die Sicherheitsebenen 1 bis 4 bilden die anlageninterne Sicherheitsvorsorge. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass trotz aller Massnahmen auf den Ebenen 1 bis 4 grössere Mengen radioaktiver Stoffe freigesetzt werden, sind auf der 5. Ebene Vorkehrungen zur Linderung der Auswirkungen vorhanden. Die Sicherheitsebene 5 umfasst die zu einem wesentlichen Teil anlagenexterne Sicherheitsvorsorge.
Sicherheitsebenen sind weitgehend unabhängig
Die in einer Ebene getroffenen Vorkehrungen (z. B. Systeme, Kontroll- und Schutzeinrichtungen) sind weitgehend unabhängig von denjenigen der anderen Ebenen. Damit wird sichergestellt, dass z. B. der Ausfall eines Systems oder einer Komponente nicht gleichzeitig mehrere Sicherheitsebenen schwächt.
Um Mensch und Umwelt vor von Kernanlagen und Kernmaterialien ausgehender ionisierender Strahlung zu schützen, sind die folgenden drei Schutzziele einzuhalten:
Kontrolle der Reaktivität
Kühlung der Brennelemente
Einschluss radioaktiver Stoffe
Die Einhaltung der Schutzziele 1 bis 3 dient letztlich dem folgenden übergeordneten Schutzziel:
Begrenzung der Strahlenexposition
Die einzelnen Sicherheitsebenen wurden in der Schweiz im Laufe der Zeit verstärkt. Durch Nachrüstungen konnte beispielsweise der Redundanzgrad erhöht werden, so dass eine grössere Anzahl gleicher Systeme (Redundanzen) für dieselbe Funktion vorhanden ist und somit Ausfälle selbst dann kompensiert werden können, wenn eines dieser Systeme wegen Instandhaltungsarbeiten nicht zur Verfügung steht.
Zudem sind die einzelnen Ebenen im Laufe der Zeit robuster ausgestaltet worden, namentlich mit dem Ziel, dass die Ausrüstungen stärkeren Einwirkungen von aussen (zum Beispiel stärkeren Erdbeben) standhalten. Die Robustheit der einzelnen Ebenen ist auch durch eine konsequentere räumliche Trennung der einzelnen Redundanzen verstärkt worden und durch die Verwendung verschiedenartiger Systeme für dieselbe Funktion (Diversität).
Dies ist der erste von 13 Teilen zur gestaffelten Sicherheitsvorsorge. Der nächste Teil behandelt die Vermeidung von Betriebsstörungen (Ebene 1).
Dieser Artikel wurde am 30.11.2018 aktualisiert.