In der Schweiz können Kernkraftwerke gemäss Gesetz solange betrieben werden, als deren Sicherheit gewährleistet ist. Die Schweiz kennt grundsätzlich keine gesetzliche Befristung der Betriebsbewilligung. Hingegen legt die Gesetzgebung klare Kriterien für die Ausserbetriebnahme von Kernkraftwerken fest. Ein Kernkraftwerk muss bis zum Ende seiner Betriebszeit ein hohes Sicherheitsniveau gewährleisten. Es ist zu verhindern, dass die bei der Auslegung berücksichtigten Sicherheitsmargen bis zur Ausserbetriebnahme vollständig ausgereizt werden. Dies wäre nicht sicherheitsgerichtet.
Darauf hat auch ENSI-Direktor Hans Wanner mehrmals hingewiesen und betont: „Es darf nicht sein, dass die Kernkraftwerke gegen Ende ihrer Betriebszeit einfach ausgefahren werden. Das wäre der Sicherheit abträglich. Ein Kernkraftwerk muss zu einem Zeitpunkt stillgelegt werden, wenn noch Sicherheitsmargen bestehen“. Die Kernkraftwerke in der Schweiz müssen unabhängig von ihrem Betriebsalter sicher betrieben werden. Mit seiner Aufsicht stellt das ENSI sicher, dass die Betreiber ihre Aufgaben wahrnehmen. Ziel ist der Schutz von Mensch und Umwelt vor Schäden durch radioaktive Strahlung. Mit ständiger Verbesserung der Sicherheit kann dieses Ziel erreicht werden.
ENSI verlangt zusätzliche Sicherheitsnachweise
Inzwischen sind drei der fünf Schweizer Kernkraftwerke 40 Jahre alt geworden, nämlich die Blöcke 1 und 2 des Kernkraftwerks Beznau sowie das Kernkraftwerk Mühleberg. Das ENSI spricht bei einem Betrieb der Schweizer Kernkraftwerke über 40 Jahre hinaus von „Langzeitbetrieb“. Für einen solchen Betrieb verlangt die Aufsichtsbehörde zusätzliche Sicherheitsnachweise. „Diese Praxis ist im Kernenergiegesetz nicht ausdrücklich verankert. Wir stützen uns dabei in erster Linie auf eine weit gefasste Vollzugskompetenz der Aufsichtsbehörde“, erklärt Georg Schwarz, Leiter des Aufsichtsbereichs Kernkraftwerke und stellvertretender ENSI-Direktor.
Vier Voraussetzungen müssen erfüllt sein
Das ENSI beurteilt die werksspezifischen Voraussetzungen für den Langzeitbetrieb anhand der gesetzlichen Anforderungen in der Schweiz, internationalen Anforderungen der IAEA, international anerkannter technischer Normen und Regeln sowie der Erkenntnisse, die aus dem Reaktorunfall im japanischen Kernkraftwerk Fukushima-Daiichi abgeleitet wurden. Für den Langzeitbetrieb müssen vier wesentliche Voraussetzungen erfüllt sein:
- Alterungsüberwachung Erstens müssen Programme und Massnahmen für die Instandhaltung und die Alterungsüberwachung unter Berücksichtigung der internen und externen Betriebserfahrung und des Standes von Wissenschaft und Technik bestehen. Die Schweiz war eines der ersten Länder, die das Alterungsmanagement einführten. Seit 1991 führen alle Betreiber von Kernkraftwerken ein Alterungsüberwachungsprogramm und überprüfen systematisch alle sicherheitsrelevanten Komponenten und Baustrukturen bezüglich Alterungseffekten. Bei seiner Begutachtung überprüft das ENSI, ob das Alterungsmanagement des Betreibers eine gute Basis für die Beurteilung der Auswirkungen eines Langzeitbetriebes bildet.
- Zustand der Schlüsselkomponenten Zweitens muss der Betreiber die zeitlich befristeten Nachweise zum Alterungszustand der Schlüsselkomponenten, wie beispielsweise Sprödbruchsicherheit des Reaktordruckbehälters, Ermüdungssicherheit des Reaktorkühlsystems, Bruchausschluss der Hauptkühlmittelleitung und Integritätsnachweis der Stahldruckschale erneuert haben. Als wesentliche, die Lebensdauer bestimmende Alterungsmechanismen gelten vor allem die Materialversprödung, die unterschiedlichen Arten von Korrosion und die thermo-mechanische Ermüdung.
- Störfallanalysen Drittens muss der Betreiber die deterministischen und probabilistischen Störfallanalysen aktualisiert haben. Hierbei wird insbesondere geprüft, ob geeignete Massnahmen zur Kompensation der ursprünglichen Auslegungsschwächen durchgeführt wurden, die wirksame und zuverlässige Beherrschung der Auslegungsstörfälle gewährleistet ist und die Anlage ein ausreichendes Sicherheitsniveau und ein ausgewogenes Risikoprofil aufweist. Mit der probabilistischen Sicherheitsanalyse (PSA) wird das Risiko auslegungsüberschreitender Störfälle abgeschätzt. Die PSA-Methodik erlaubt eine anlagenspezifische, quantitative Risikobewertung unter Berücksichtigung verschiedenartigster Unfallursachen wie beispielsweise menschliches Versagen oder Naturkatastrophen wie Erdbeben.
- Nachrüststand Und viertens muss die Auslegung des Kernkarftwerks auf der Basis des Standes der Nachrüsttechnik überprüft sein. Trotz der zur Kompensation der ursprünglichen Auslegungsschwächen durchgeführten Massnahmen verfügt ein 40-jähriges Kernkraftwerk nicht über alle Auslegungsmerkmale eines Kernkraftwerks der neuesten Generation. Die Unterschiede betreffen typischerweise den Redundanzgrad, die funktionale Unabhängigkeit und räumliche Trennung von Sicherheitssystemen, deren Automatisierungsgrad, die Erdbeben– und Flugzeugabsturzsicherheit sowie die Vorsorge gegen auslegungsüberschreitende Störfälle. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Kernkraftwerk auf den Stand der Nachrüsttechnik gebracht wurde, überprüft das ENSI, ob die Anforderungen an ein neues Kernkraftwerk, wie sie in der Gesetzgebung konkretisiert sind, erfüllt sind. Falls dies nicht der Fall ist, wird überprüft, ob angemessene Verbesserungsmassnahmen getroffen wurden und die verbleibenden Unterschiede zu den gesetzlichen Anforderungen an ein neues Kernkraftwerk aufgrund der Ergebnisse der probabilistischen Sicherheitsanalyse vertretbar sind.