Bild: Je nach Höhe der Dosis kommt es zu gewebetypischen Symptomen. Bei hoher Dosisbelastung trifft es die Vorläuferzellen der Zellen an den Darmzotten, die das Innere des Darms auskleiden (im Bild). Die Folgen reichen von Durchfall und Fieber bis hin zu Krämpfen und Schock.
Bezüglich des Zusammenhangs zwischen ionisierender Strahlung und der Wahrscheinlichkeit einer Zellmutation – und damit einer Erkrankung – muss aufgrund der Höhe der Strahlendosis zwischen stochastischen und deterministischen Effekten unterschieden werden:
Schon bei geringen Dosen wird von einem Zusammenhang zwischen der Höhe Strahlendosis und der Erkrankungswahrscheinlichkeit ausgegangen, doch er ist weniger eindeutig. Vorhersagen sind daher nur für ganze Gruppen und teilweise mit grossen Unsicherheiten möglich, aber nicht für das einzelne Individuum. Bei geringen Strahlendosen spricht man daher von stochastischen beziehungsweise zufallsbedingten Effekten.
Bei höheren Strahlendosen dagegen sind die Zusammenhänge eindeutiger. Noch höhere Strahlendosen können zum Absterben von Zellen und zum Funktionsverlust des betreffenden Organs führen. Dabei gilt: Je höher die Dosis, desto höher der Schweregrad einer Erkrankung. Man spricht von deterministischen Effekten.
Von Infektionen über Durchfall bis hin zum Tod
Eine mögliche Folge hoher Strahlendosen ist das akute Strahlensyndrom. Je nach Empfindlichkeit reagieren biologische Systeme, indem wichtige Vorläuferzellen durch die Strahlung inaktiviert werden und in der Folge keine funktionierenden Zellen mehr zur Verfügung stehen. Zwischen dem Bestrahlungsereignis und dem Beginn der gewebetypischen Symptome treten die Effekte des sogenannten Prodromalen Systems auf. Sie umfassen Übelkeit, Schwindel oder Fieber und sind umso ausgeprägter, je höher die Dosis war. Eine hohe Dosis führt zudem zu kürzeren zeitlichen Abständen zwischen Bestrahlung, Prodromalem Symptom und den eigentlichen Effekten.
Je nach Höhe der Dosis kommt es zu gewebetypischen Symptomen:
- Hämatopoetisch: Zuerst zeigen sich die Effekte beim blutbildenden System. Zirkulierende Zellen werden nicht mehr ersetzt, da durch das Fehlen ihrer Vorläuferzellen kein Nachschub erfolgt. Daraus resultieren Blutarmut, Infektionen oder Blutungen. Bei schneller medizinischer Hilfe besteht dennoch eine hohe Überlebenschance.
- Gastrointestinal: Wenn die Dosisbelastung weiter ansteigt, folgt das Verdauungssystem mit seiner Strahlenreaktion. Auch hier trifft es wieder empfindlichere Vorläuferzellen der Zellen an den Darmzotten, die das Innere des Darms auskleiden. Die Folgen reichen von Durchfall, Fieber über allgemeine Krämpfe bis hin zum Schock. Auch wenn rechtzeitig medizinische Massnahmen ergriffen werden, ist die Prognose schlecht.
- Zerebral: Bei sehr hohen Dosen wird auch das Zentralnervensystem geschädigt. Hier kann nur noch die Palliativmedizin greifen, um Symptome und Schmerzen zu lindern. Eine Heilung ist nicht möglich.
Zu Strahlenexpositionen, die zu einem akuten Strahlensyndrom führten, kam es beispielsweise bei einem Kritikalitätsunfall in Tokaimura (Japan) 1999. In Tokaimura akkumulierten drei Arbeiter wegen einer durch Fehlverhalten verursachten nicht mehr kontrollierbaren Kettenreaktion Dosen von etwa drei, acht und zwanzig Gray. Der Patient mit zwanzig Gray entwickelte eine ausgeprägte Strahlenkrankheit und verstarb nach 82 Tagen Palliativbehandlung. Sieben Monate nach dem Unfall verstarb auch der Patient mit einer Dosis von etwa acht Gray. Der Unfall wurde mit der INES-Stufe 4 bewertet.
Dies ist der zweite von fünf Artikeln zum Thema Strahlenbiologie. Im dritten Teil werden niedrige Dosen und ihr Schädigungspotenzial erläutert.