Frage 57: Massnahmen zur Verhinderung von Sicherheitsproblemen
Heute fehlt es an Beispielen für die erfolgreiche Realisierung von geologischen Tiefenlagern und deshalb an entsprechender „best practice“.
Welche Massnahmen sind vorzusehen, um zu verhindern, dass später beim Bau, Betrieb und Verschluss eines Tiefenlagers Sicherheitsprobleme auftreten, die dazu führen, dass das Lager den sicherheitstechnischen Anforderungen nicht mehr entspricht und rückgebaut werden muss?
Die Realisierung eines geologischen Tiefenlagers erfolgt gemäss Sachplan geologische Tiefenlager und Kernenergiegesetzgebung in mehreren Schritten (3 Etappen des Sachplans, Rahmen-, Bau-, und Betriebsbewilligung, Verfügung zum Verschluss). Für jeden Realisierungsschritt gemäss KEG sind Sicherheitsnachweise für die Betriebs- und Langzeitsicherheit gemäss der Richtlinie ENSI-G03 vorzulegen. Dabei richtet sich der Detailierungsgrad der Nachweise an die jeweilige Projektstufe. Die Sicherheitsnachweise sind periodisch gemäss aktuellem Zustand der Anlage und dem Stand von Wissenschaft und Technik zu ergänzen. Die Sicherheitsnachweise sind in einem Sicherheitsbericht zu dokumentieren und werden vom ENSI geprüft.
Weiterhin ist für die sicherheitsrelevanten Arbeiten zu den Phasen Projektierung, Bau, Betrieb, Beobachtung und Verschluss eines geologischen Tiefenlagers ein nach internationalen Standards anerkanntes Qualitätsmanagementprogramm zu erarbeiten, anzuwenden und dessen Umsetzung zu dokumentieren (vgl. Art. 16 & 20 KEG; Art. 25 & 31 KEV). Das Qualitätsmanagementprogramm muss vor der Ausführung der entsprechenden Arbeiten dem ENSI zur Stellungnahme eingereicht werden.
Zentral ist das Verständnis der in einem Tiefenlager ablaufenden Vorgänge. Die Nagra führt deshalb entsprechende Experimente durch. Experimente in einem entsprechenden Felslabor tragen dazu bei, allfällige Hinweise für eine Verbesserung der Lagerauslegung zu erhalten und insbesondere die Belastbarkeit der Sicherheitsanalysen zu erhöhen.
In der Rahmenbewilligung werden von den Bundesbehörden Eignungskriterien festgelegt (Art. 14 KEG, Art 63 KEV). Diese Kriterien beziehen sich auf die Ausdehnung geeigneter Wirtgesteinsbereiche, die hydrogeologischen Verhältnisse am Standort und die die Verweilzeit des Tiefengrundwassers. Bei Nichterfüllung dieser Kriterien wird ein vorgesehener Lagerbereich wegen fehlender Eignung ausgeschlossen.
Nach Erteilung der Rahmenbewilligung werden ein Felslabor bzw. Testbereiche im geologischen Standortgebiet erstellt. Dieses dient einerseits dazu die Eigenschaften des Standorts bzgl. der Eignungskriterien zu überprüfen und andererseits nach Art. 65 KEV in den Testbereichen die sicherheitsrelevanten Eigenschaften des Wirtgesteins zur Erhärtung des Sicherheitsnachweises standortspezifisch vertieft abzuklären.
Zusätzlich sind vor Inbetriebnahme des Tiefenlagers die sicherheitsrelevanten Techniken (Einbringen des Verfüllmaterials, Entfernen des Verfüllmaterials, Techniken zur Rückholung von Abfallgebinden) zu erproben und deren Funktionstüchtigkeit zu dokumentieren. Während des Betriebes des Tiefenlagers ist die Versiegelung von Kavernen und Stollen zu erproben und auch hier ist deren Funktionstüchtigkeit nachzuweisen.
Ein wichtiges Element eines Tiefenlagers ist das Pilotlager. Im Pilotlager Ist nach Art. 66 KEV das Verhalten der Abfälle, der Verfüllung und des Wirtgesteins bis zum Ende der Beobachtungsphase zu überwachen. Das Überwachungsprogramm eines Pilotlagers muss Messungen zur zeitlichen Entwicklung eines Pilotlagers und seines geologischen Umfeldes vorsehen, so dass Aussagen möglich sind über die sicherheitsrelevanten Zustände und Vorgänge in einem Pilotlager und in dessen geologischem Umfeld, über die frühzeitige Erkennung unerwarteter, Entwicklungen und über die Wirksamkeit des Barrierensystems. Bei der Überwachung sind im Hinblick auf den Verschluss Daten zur Erhärtung des Sicherheitsnachweises zu ermitteln. Die daraus gewonnenen Ergebnisse bilden eine Grundlage für den Entscheid über den Verschluss des Tiefenlagers. Die beobachteten Vorgänge und Systeme (z.B. Barrierensystem) müssen dabei gemäss ENSI-G03 auf das Hauptlager übertragbar sein.
Ein weiteres Element zur Einhaltung der Sorgfaltspflicht ist die Kontrolle der Abfallgebinde im Hinblick auf die Einlagerung. Es dürfen nur Abfallgebinde eingelagert werden, bei welchen das chemische und radiologische Inventar mit den Voraussetzungen des Sicherheitsnachweises verträglich ist. Der Eigentümer des Tiefenlagers hat hierzu entsprechende Annahmebedingungen zu erlassen. Die für die Einlagerung erforderlichen Verpackungsverfahren sowie der Nachweis für die Erfüllung der Annahmebedingungen muss dem ENSI zur Überprüfung vorgelegt werden. Eine erstmalige Einlagerung eines Abfallgebindetyps erfolgt erst nach Freigabe durch das ENSI (Richtlinie ENSI-G03). Zusätzlich wird daraufhin gewiesen, dass für jeden radioaktiven Abfall, bevor er produziert wird, eine Bescheinigung für die Zwischenlagerung-, Transport- und Tiefenlagerfähigkeit gemäss Richtlinie ENSI-B05 seitens Nagra ausgearbeitet und vom ENSI die Endlagerfähigkeit geprüft wird.
Nach Art. 37 KEG muss die Rückholung der Abfälle bis zum Verschluss ohne grossen Aufwand möglich sein, die Lagerbehälter sind dementsprechend mechanisch auszulegen. Die Massnahmen zur Sicherstellung der Rückholbarkeit dürfen nach Art. 11 KEV die passiven Barrierensysteme nicht beeinträchtigen.
Stand internationaler Erfahrungen:
Weltweit sind bereits einige geologische Tiefenlager für SMA/LMA seit mehreren Jahrzehnten in Betrieb (u.a. Schweden, Finnland, USA). Projekte für die geologische Tiefenlagerung von HAA sind in Frankreich, Finnland und Schweden weit fortgeschritten (Standortfestlegung), wobei in Finnland die untertägige Charakterisierung (Felslabor) zur Bestätigung der Standorteigenschaften kurz vor dem Abschluss steht. All diese Projekte liefern wichtige wertvolle Informationen und Erfahrungen, die in internationalen Fachgremien, wo auch die Schweiz vertreten ist, diskutiert und ausgetauscht werden.
Fazit
In der Schweizer Gesetzgebung und in den behördlichen Anforderungen sind entsprechende Massnahmen (z.B. Errichtung eines Felslabors, Qualitätsmanagementprogramm, Pilotlager, stufenweise Bewilligungsschritte) vorgesehen, bei denen die Sicherheit bei jedem Realisierungsschritt eines geologischen Tiefenlagers kritisch überprüft wird. Das ENSI verfolgt ferner den internationalen Stand der Arbeiten auf diesem Gebiet und berücksichtigt die dabei gewonnen Erfahrungen. Dies ermöglicht neue Erkenntnisse von Wissenschaft und Technik bei den Vorschlägen der Entsorgungspflichtigen und bei der sicherheitstechnischen Überprüfung der Aufsichtsbehörde bei jedem Realisierungsschritt einzubeziehen.
Beantwortet von KNS
Die Feststellung, dass bis heute kein Tiefenlager für wärmeentwickelnde hochaktive Abfälle realisiert worden ist und erfolgreich betrieben wird, ist ausserordentlich wichtig. Konkret bedeutet dies, dass alle Schritte, von der Planung bis zur Realisierung eines Tiefenlagers, sehr sorgfältig durchgeführt werden müssen, damit die Anlage industrielle Reife erreicht und auch wie vorgesehen funktioniert.
Zentral für die Langzeitsicherheit von geologischen Tiefenlagern ist, dass das Lagerkonzept optimal auf die Eigenschaften des Wirtgesteins abgestimmt ist. Dabei sind insbesondere negative Einflüsse des Lagers auf das Wirtgestein möglichst zu vermeiden und alle Techniken und Prozesse – vom Auffahren der Anlage bis zum Verfüllen und zum Verschluss der untertägigen Bauten – mit Hilfe von klar definierten Verfahren soweit als möglich experimentell und mit Modellrechnungen zu überprüfen (validiert).
Besonders anspruchsvoll ist die Validierung, weil die natürlichen Prozesse im Tiefenlager (Aufsättigung des Lagers, Korrosion usw.) sehr langsam ablaufen. Eine experimentelle Validierung der Dichtheit eines Tiefenlagers ist damit erst im Laufe von Tausenden von Jahren möglich. Den resultierenden Unsicherheiten muss daher auf andere Weise Rechnung getragen werden.
So sind verschiedene qualitätssichernde Massnahmen erforderlich und möglich, um negativen Entwicklungen im Lager vorzubeugen und die Wahrscheinlichkeit von schwerwiegenden Planungs- und Ausführungsfehlern zu minimieren. Dazu gehören:
Damit diese Massnahmen greifen und ihre optimale Wirkung entfalten können, ist eine Sicherheitskultur erforderlich, in der zum einen eine Sensibilität für die Abläufe und für mögliche Fehler besteht („hinterfragende Grundhaltung“) und zum anderen eine offene Kommunikation über erkannte Fehler und deren sicherheitsgerichtete Bewältigung gepflegt wird.
Ein Planungskonzept, das alle essentiellen Fragestellungen einer Lagerplanung umfasst, die kritischen Punkte identifiziert und das Vorgehen bei der Entwicklung des Tiefenlagers aufzeigt (Prozessplanung). Hierzu gehört auch die Frage der methodischen Bewertung verschiedener Lagerkonzepte und Techniken.
Eine hochqualifizierte Planung des Tiefenlagers (Lagerplanung) durch ausgewiesene Fachleute.
Eine breit angelegte Forschung und Entwicklung, die unterschiedliche Lagerkonzepte sowie Bau- und Einlagerungstechniken einschliesst.
Die laufende Begleitung und Überprüfung aller Arbeiten durch die zuständigen Behörden und externe Fachleute.
Die experimentelle Validierung der essentiellen Fragestellungen des Lagerkonzepts, soweit dies möglich ist.
Erfahrungen aus anderen Projekten werden, sofern übertragbar, laufend berücksichtigt.