Die KKW-Unfälle in Fukushima haben gezeigt, welche wichtige Rolle eine funktionierende Containment-Druckentlastung spielt. Wenn die Brennstäbe im Reaktor nicht ausreichen gekühlt werden, können durch die chemische Wasser-Metall-Reaktion an den Hüllrohren in kurzer Zeit grosse Mengen Wasserstoff und zusätzliche Wärme entstehen. Das Wasserstoffvolumen erzeugt (zusätzlich zum Dampf) rasch einen steigenden Druck im Containment, weil er (im Unterschied zum Dampf) nicht kondensiert werden kann. Das General Electric Mark I Containment bei den Fukushima/Mühleberg Reaktoren ist ausdrücklich als „Pressure-Suppression Containment“ ausgelegt, also auf funktionierende Kondensation angewiesen. Auch der Dampf kann nicht mehr (genügend) kondensiert werden, wenn die Wärme längere Zeit nicht aus den Kondensationsbecken (Torus) abgeführt werden kann. Bevor der Druck die Druckfestigkeit des Containments übersteigt, muss er entlastet werden.
Limitationen der sogenannten „Pressure-Suppression Containments“ wurden auch in Aufsichtskreisen recht früh erkannt (http://energisch.ch/?p=2683). Ca. 20 Jahre später setzte sich die Nachrüstung sogenannter Containment- Druckentlastungs-Systeme (CDS) durch (HSK-R-40/d, März 1993, Abschnitt 1). Dampf und Gase müssen über die Containment-Druckentlastung abgeführt werden. Dabei darf aber der Wasserstoff nicht ins Gebäude gelangen, denn dieser kann dort nach einer Durchmischung mit Luftsauerstoff hochenergetisch explodieren (Knallgas). Nach Fukushima führte das ENSI am 5.5.2011 aus (ENSI: Stand der Abklärungen zum KKW-Unfall von Fukushima (Japan) und Stand der Massnahmen und der vorzeitigen Sicherheitsüberprüfungen bei den schweizerischen Kernkraftwerken, 5.5.2011, Seite 8, „Zudem wurde in allen schweizerischen Kernanlagen – neben einer Reihe von anderen Verbesserungsmassnahmen – ein System zur gefilterten Containmentdruckentlastung nachgerüstet. Dank dieser Nachrüstung erfolgt eine allfällige Druckentlastung in der Schweiz gefiltert über den Kamin und nicht ins Innere des Reaktorgebäudes. Dadurch kann sich im Unterschied zu Fukushima kein Knallgas im Reaktorgebäude sammeln und explodieren.“):
Zudem wurde in allen schweizerischen Kernanlagen – neben einer Reihe von anderen Verbesserungsmassnahmen – ein System zur gefilterten Containmentdruckentlastung nachgerüstet. Dank dieser Nachrüstung erfolgt eine allfällige Druckentlastung in der Schweiz gefiltert über den Kamin und nicht ins Innere des Reaktorgebäudes. Dadurch kann sich im Unterschied zu Fukushima kein Knallgas im Reaktorgebäude sammeln und explodieren. Das implizierte Fehlen einer Containment-Druckentlastung in den Fukushima-Reaktoren schien zunächst die Explosionen zu erklären bzw. Grund zur Annahme zu geben, dass ein gleichartiger Unfallverlauf in der Schweiz nicht passieren könnte. Später stellte sich jedoch heraus, dass entgegen dieser ersten Meldungen alle drei Blöcke in Fukushima eine Containment-Druckentlastung („vent“) aufweisen und diese auch mehrfach angewendet haben:
Die Schweizer Venting-Systeme sind im Unterschied zu den japanischen Systemen gefiltert, d.h. gewisse radiologisch wichtige Stoffe sollten zu einem grossen Anteil herausgefiltert und zurückgehalten werden, bevor Dampf und Gase an die Umwelt abgegeben werden. Ein wesentlicher Vorteil zum Schutz der Bevölkerung. Diese Filterung hat jedoch bezüglich der Sicherheitsfunktion des Druckabbaus, der Wasserstoffabfuhr und damit bezüglich der dramatischen Eskalation des Unfalls in Fukushima keinen inhärenten Vorteil. Im Gegenteil muss mit zusätzlichen Leitungsumwegen und potentiellen Fehlerquellen bei der Filterstufe gerechnet werden. Bei sonst gleichwertiger Auslegung kann nicht ausgeschlossen werden, dass das gefilterte System bezüglich Zuverlässigkeit dem System mit Direktabgabe unterlegen ist. In Fukushima scheint trotz vorhandener und mehrfach betätigter ungefilterter Containment- Druckentlastung Wasserstoff aus dem Containment entwichen und explodiert zu sein.
Erdbebenfestigkeit der Containment-Druckentlastung
Die Frage ist deshalb mit dem Vorhandensein der Containment-Druckentlastung nicht erledigt. Vielmehr muss geprüft werden, ob die Containment-Druckentlastung und die Abgabe von Wasserstoff in postulierten Störfällen zuverlässig funktionieren.
Das ENSI hat denn auch eine Schwerpunktinspektion der Containment-Druckentlastungen durchgeführt und festgestellt: „Schwerpunktinspektion zeigt: Gefilterte Druckentlastung ist in Schweizer KKW gewährleistet“ (ENSI: Schwerpunktinspektion zeigt: Gefilterte Druckentlastung ist in Schweizer KKW gewährleistet, 1.3.2012 https://ensi.admin.ch/de/2012/03/01/schwerpunktinspektion-zeigt-gefilterte-druckentlastung-ist-in-schweizer-kkw-gewaehrleistet/).
Nach dem Prinzip der „gestaffelten Sicherheitsvorsorge“ wurde dabei gefordert, dass ein Containment-Druckentlastungs-System immer mindestens so erdbebenfest sein soll, wie das Containment selber (Verfügung Stellungnahme zu Ihrem Bericht zum EU-Stresstest, 10.1.2012, ENSI an KKG, Seite 2):
Um einen wirksamen Schutz des Containments auch bei schweren erdbebenbedingten Unfällen zu gewährleisten, sollte die Containmentdruckentlastung im Sinne der gestaffelten Sicherheitsvorsorge eine Erdbebenfestigkeit aufweisen, die in etwa der Erdbebenfestigkeit der Containmentisolation bzw. der Containmentintegrität entspricht.
Entsprechende Verfügungen wurden erlassen: Die Stresstest-Untersuchungen haben gezeigt, dass die Venting-Systeme in den Kernkraftwerken Gösgen und Leibstadt eine geringere Erdbebenfestigkeit aufweisen als die zugehörigen Containments. Das ENSI hat deshalb die beiden Werke am 10. Januar 2012 mit Verfügungen verpflichtet, die Erdbebenfestigkeit des Venting-Systems zu überprüfen und die Ergebnisse der Überprüfung dem ENSI bis zum 30. September 2012 einzureichen. Bis 31. Dezember 2012 sind Massnahmen zur Verbesserung der Erdbebenfestigkeit des Druckentlastungsystems vorzuschlagen. Wie dargestellt (siehe Frage 12 Abschnitt „Sicherheitstechnische Bedeutung“) führt der Abgabepfad der Containment-Druckentlastung beim KKM über das Aufbereitungsgebäude, welches bereits für das Auslegungserdbeben nicht qualifiziert ist. Damit kann das obenstehende Kriterium kaum erfüllt sein.
Fragen / Antwortencheckliste
N. (ENSI) Wie kann die Funktion der Containment-Druckentlastung als „gewährleistet“ deklariert werden, wenn der Abgabepfad über Gebäudebrücken und Gebäude führt, die bereits bei einem Erdbeben kleiner als das SSE als kollabiert betrachtet werden müssen?
O. (ENSI) Warum wurde das KKM mit Verfügung vom 10. Januar 2012 nicht auch verpflichtet, die Erdbebenfestigkeit der Containment-Druckentlastung zu überprüfen und Verbesserungen vorzuschlagen?
P. (KKM) Wann braucht es den zweiten Rekombinator aus dem KKL? Ist bei Erdbeben sichergestellt, dass das KKL diesen nicht selber braucht? Welche Bedeutung hat die Tatsache, dass der vorgesehene Standort auf der Transportbrücke steht, schon bei einem Erdbeben kleiner als das SSE als unverfügbar gelten muss?