Die bisher für HAA-Lager durchgeführten Dosis-Berechnungen haben als wichtigsten Faktor für die verbleibende Langzeitbelastung (nach mehr als 50’000 Jahren) das Isotop 129Iod ausgewiesen. Wegen seiner langen Halbwertszeit von über 15 Millionen Jahren, seiner Volatilität und relativ guten Wasserlöslichkeit und seinen verminderten Adsorptions-Eigenschaften wird auch in den Sicherheitsberichten damit gerechnet, dass dieses Iod-Isotop und dessen chemische Verbindungen bei den langfristigen Immissionen dosisbestimmend ist (vor allem durch Aufnahme via Trinkwasser oder die Nahrungskette).
Gibt es konkrete Forschungsarbeiten zur Reduktion dieser Dosis-Komponente 129Iod, sei es durch Immobilisierung1 oder durch Transmutation2?
Wenn ja: Wie ist die Schweiz daran beteiligt und welche Ergebnisse liegen jetzt schon bzw. voraussichtlich bis in 5 Jahren vor?
Wenn nein: Sind solche Arbeiten geplant und bis wann können Ergebnisse erwartet werden?
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1 Immobilisierung: Seit langem werden radioaktive Kationen durch Einlagerung in Zeolithe immobilisiert. Möglicherweise können auch Anionen-Verbindungen, z.B. eben radioaktive 129Iod-Verbindungen, langfristig in Zeolithen oder in anderen polykristallinen, porösen Materialien oder in Anionen-Austauschern eingeschlossen werden.
2 Transmutation: Umwandlung radioaktiver Elemente durch Neutronenbeschuss in andere, kurzlebigere Isotope und danach weiter in andere, stabile Elemente. Für die Umwandlung ist ein spezieller Reaktor vorgesehen, welcher von einem Protonenstrahl-Beschleuniger „befeuert“ wird (vgl. Projekt „Myrrha“ in Belgien).
Text und Bilder des ENSI-Faktenblattes zum Thema Transmutation lauten wie folgt:
Ersetzt Transmutation die Tiefenlagerung radioaktiver Abfälle?
Ziel der Transmutation ist, die Radiotoxizität hochaktiver Abfälle schneller zu reduzieren. Mit einem solchen Verfahren könnte auch der Platzbedarf eines geologischen Tiefenlagers für hochaktive Abfälle reduziert werden. Es würden aber in jedem Fall langlebige hochaktive sowie schwach- und mittelaktive Abfälle verbleiben, die in geologischen Tiefenlagern entsorgt werden müssen. Forschungsprojekte zur Transmutation laufen, der Nachweis der grosstechnischen Machbarkeit steht jedoch noch aus.
Was ist Transmutation?
Von verbrauchten Brennelementen aus Kernkraftwerken geht eine starke Radiotoxizität aus, da sie eine Vielzahl an Radionukliden enthalten, die während des Reaktorbetriebs durch verschiedene Kernreaktionen entstehen. Aus diesem Grund müssen sie über lange Zeiträume sicher eingeschlossen werden. Die von den verbrauchten Brennelementen ausgehende Radiotoxizität wird nach einigen hundert Jahren hauptsächlich von den Transuranelementen Plutonium, Neptunium, Americium und Curium sowie von langlebigen Spaltprodukten, wie beispielsweise Jod oder Technetium ausgemacht.
Als Transmutation bezeichnet man allgemein die Umwandlung von Nukliden durch Kernreaktionen. Im Zusammenhang mit radioaktiven Abfällen versteht man unter Transmutation üblicherweise die gezielte Umwandlung von Radionukliden, so dass die Radiotoxizität der Abfälle schneller abnimmt. Dies kann z.B. im Fall von langlebigen Spaltprodukten durch Neutroneneinfang-Reaktionen geschehen (vgl. Figur 52-1). In anderen Fällen, wie beispielsweise bei Actiniden, führen Spaltungsreaktionen oder eine Kombination aus Spaltungs- und Neutroneneinfang-Reaktionen zum Ziel.
Brennstoffkreisläufe
Transmutation benötigt Brennstoffkreisläufe mit Abtrennung und Wiederaufarbeitung. Während in vielen Staaten die Brennelemente nur einmal verwendet werden und danach endgelagert werden müssen (sog. once through cycle, siehe Figur 52-2A, grauer Pfeil), werden in wenigen Staaten verbrauchte Brennelemente wiederaufgearbeitet (conventional reprocessing fuel cycle, vgl. Figur 52-2B, rote Pfeile). Dabei werden Plutonium und Uran aus verbrauchten Brennelementen abgetrennt und können zu neuem Brennstoff verarbeitet werden. Modernere Reaktortypen sowie ein weiterentwickelter, geschlossener Brennstoffkreislauf (advanced fuel cycle, Figur 52-2C, grüne Pfeile) mit mehrfacher Wiederaufarbeitung und Wiederverwendung sind Gegenstand aktueller Forschung. Dieses Konzept basiert auf Abtrennung und Transmutation (Partitioning and Transmutation, auch P&T). Dabei werden die noch verwertbaren Elemente (z.B. Plutonium und Uran) aus den verbrauchten Brennelementen abgetrennt und in speziell dafür ausgelegten Reaktoren wiederverwendet.
Ausserdem werden die Minoren Actiniden (insbesondere Neptunium, Americium und Curium), von denen ein Grossteil der langfristigen Radiotoxizität ausgeht, aus den verbrauchten Brennelementen herausgelöst und anschliessend in stabile oder kurzlebigere Radionuklide umgewandelt (transmutiert).
Dies kann durch Neutronenreaktionen in noch zu errichtenden Kernanlagen geschehen. Die dafür benötigten Neutronen können beispielweise mit Teilchenbeschleunigern in Verbindung mit einer Neutronenquelle (ADS, accelerator driven system) oder in schnellen Brutreaktoren (FR, fast reactor) oder anderen speziell für diesen Zweck entwickelten Anlagen erzeugt werden. Ein weiteres Konzept ist das Integral Fast Reactor-Konzept, bei dem Transuranelemente ohne vorherige Abtrennung wiederverwendet werden können.
Gelänge es, nahezu das gesamte Plutonium und Uran abzutrennen und wiederzuverwenden, würde die Radiotoxizität der hochaktiven Abfälle deutlich schneller absinken. Wenn man zusätzlich die Minoren Actiniden ebenfalls fast vollständig abtrennen und transmutieren könnte, würde die Radiotoxizität der Abfälle nochmals deutlich schneller abklingen (siehe Figur 52-3). Die dazu nötigen chemischen Trennverfahren sind sehr anspruchsvoll. Die vollständige Umwandlung der abgetrennten Radionuklide kann selbst nach mehreren Wiederverwendungsdurchläufen im Kernreaktor nicht erreicht werden. Aus diesen Gründen klingt die Radiotoxizität der verbleibenden Abfälle langsamer ab, als in Figur 52-3 angenommen.
Grosstechnische Machbarkeit der Transmutation
Der Nachweis der grosstechnischen Machbarkeit des P&T-Verfahrens steht noch aus. Hierfür werden noch mehrere Jahrzehnte an Forschungs- und Entwicklungsarbeit nötig sein. Reaktorkonzepte, die speziell auf Wiederverwendung von Brennelementen und auf Transmutation ausgelegt sind, sind Gegenstand aktueller Forschung: Beispiele sind das MYRRHA-Projekt für das ADS-Konzept und Reaktorprototypen der 4. Generation wie SFR (sodium-cooled fast reactor), LFR (lead-cooled fast reactor) und GFR (gas-cooled fast reactor). Einzelne Komponenten der dazu notwendigen Technologien wurden u.a. im Rahmen des Projekts MEGAPIE an der SINQ (The Swiss Spallation Neutron Source) am Paul Scherrer Institut (PSI) in Villigen (AG) getestet.
Eine weitere grosse technische Herausforderung liegt in der Entwicklung von nuklidspezifischen Trennverfahren in industriellem Massstab. Ausserdem muss ein effizientes Verfahren für die Herstellung von Brennstoffen, die Minore Actiniden enthalten, auf industrieller Ebene entwickelt werden. Für die langlebigen Spaltprodukte (z.B. Jod und Technetium) existiert bisher kein realistisches, für den industriellen Massstab geeignetes Transmutationskonzept.
Transmutation und Tiefenlagerung
Realistische Szenarien der Anwendung von Abtrennung und Transmutation (P&T) zur Reduktion der Radiotoxizität hochaktiver Abfälle und deren Auswirkung auf die Tiefenlagerung wurden in verschiedenen internationalen Forschungsprojekten untersucht und analysiert (siehe z.B. [2], [4] und [5]). In dem europäischen Forschungsprojekt „RED-IMPACT“ [5] wurden verschiedene Brennstoffkreislauf-Szenarien und verschiedene Zeithorizonte untersucht. Die NEA-Berichte ([2] und [4]) fassen den aktuellen Kenntnisstand über Transmutation zusammen.
Basierend auf den oben erwähnten Berichten werden u.a. die folgenden Schlussfolgerungen gezogen:
Die verschiedenen betrachteten Brennstoffkreislauf-Szenarien führen zwar zu einer veränderten Abfallzusammensetzung, aber es verbleiben in jedem Fall langlebige Abfallkomponenten, die in einem geologischen Tiefenlager entsorgt werden müssen.
Während die Halbwertszeiten der meisten Transuranelemente durch Transmutation theoretisch auf einige hundert Jahre reduziert werden könnte, ist die Transmutation langlebiger, mobiler Spaltprodukte, beispielsweise 129I und 99Tc, eine offene Frage.
Je nach verwendeter Technik benötigt die Transmutation für einzelne Radionuklide wie Zeiträume von einigen tausend Jahren. Die Radionuklide müssten getrennt in einem nuklidspezifischen Verfahren transmutiert werden, sonst könnten Radionuklide mit längeren anstatt kürzeren Halbwertszeiten entstehen.
Die Transmutation der Minoren Actiniden Neptunium, Americium und Curium würde die Radiotoxizität des Abfalls deutlich vermindern. An der Erdoberfläche hätte das jedoch langfristig keine signifikanten Auswirkungen, da die Minoren Actiniden in tonreichen Wirtgesteinen wie in der Schweiz ohnehin gut zurückgehalten werden. Im Falle eines unbeabsichtigten menschlichen Eindringens in ein geologisches Tiefenlager würde die Transmutation der Minoren Actiniden zu einer reduzierten Dosis führen.
Verbesserte Brennstoffkreisläufe (P&T) und ein Recycling von Plutonium und Minoren Actiniden führen zu einer Reduktion der Wärmeproduktion der Abfälle. Dadurch könnte die Gesamtlänge der Endlagerstollen für hochaktive Abfälle abhängig von der geologischen Situation, dem Design und der Zwischenlagerungszeit weiter optimiert werden.
Glossar
Radionuklid Radionuklide sind instabile Atomkerne, die radioaktiv zerfallen.
Radioaktivität Die Eigenschaft bestimmter Radionuklide, sich ohne äussere Einwirkung umzuwandeln und dabei elektromagnetische Strahlung oder Teilchen auszusenden, wird Radioaktivität genannt.
Radiotoxizität Die Radiotoxizität ist ein Mass für das strahlenbedingte gesundheitliche Risikopotenzial radioaktiver Stoffe.
Transuranelemente Transuranelemente haben eine höhere Ordnungszahl als Uran (grösser als 92). Sie sind instabil und radioaktiv. Die Halbwertszeiten liegen zwischen Bruchteilen einer Sekunde und einigen 10 Mio. Jahren. Sie kommen in der Natur nicht oder nur in Spuren vor.
Actiniden Als Actiniden werden diejenigen chemischen Elemente bezeichnet, die dem Actinium ähnlich sind. Hierzu gehören Actinium selbst sowie die 14 im Periodensystem nachfolgenden Elemente. Dies sind Thorium, Proactinium, Uran, Neptunium, Plutonium, Americium, Curium, Berkelium, Californium, Einsteinium, Fermium, Mendelevium, Nobelium und Lawrencium. Alle Actiniden sind instabil, d.h. sie zerfallen radioaktiv. Diejenigen Actiniden, die in abgebranntem Kernbrennstoff in verhältnismässig geringen Mengen enthalten sind, werden als Minore Actiniden bezeichnet. Im Zusammenhang mit der Transmutation sind die wichtigsten Minoren Actiniden Neptunium, Americium und Curium.
Dosis Die Dosis ist ein Mass für die Beurteilung des gesundheitlichen Risikos durch ionisierende Strahlung. Wichtige Grössen im Strahlenschutz sind in diesem Zusammenhang die „effektive Dosis“ und die „Organdosis“. Diese beiden Dosisgrössen haben die Einheit Sievert (Sv).
Halbwertszeit Während der Halbwertszeit wandelt sich die Hälfte der Atomkerne eines radioaktiven Stoffes um bzw. zerfällt. Je kürzer ihre Halbwertszeit ist, desto schneller zerfallen Atomkerne. Die Aktivität gibt die Anzahl Zerfälle pro Sekunde an, ihre Einheit ist Becquerel (Bq).
[2]: NEA (2002): Accelerator-driven Systems (ADS) and Fast Reactors (FR) in Advanced Nuclear Fuel Cycles, NEA No. 3109, OECD Nuclear Energy Agency, Paris.
[3]: Magill, J., Berthou, V., Haas, D., Galy, J., Schenkel, R., Wiese, H.-W., Heusener, G., Tommasi, J., Youinou, G. (2003): Impact limits of partitioning and transmutation scenarios on the radiotoxicity of actinides in radioactive waste, Nuclear Energy 42 (5), 263-277 (2003)
[4]: NEA (2011): Potential Benefits and Impacts of Advanced Nuclear Fuel Cycles with Actinide Partitioning and Transmutation, NEA No. 6894, OECD Nuclear Energy Agency, Paris.
[5]: Greneche D., Quiniou B., Boucher L., Delpech M., Gonzalez E., Alvarez F., Cuñado M.A., Serrano G., Cormenzana J.L., Kuckhinrichs W., Odoj R., Lensa v., W., Wallenius J., Westlén D., Zimmermann C., Marivoet J. (2007): RED-IMPACT: Impact of Partitioning, Transmutation and Waste Reduction Technologies on the Final Nuclear Waste Disposal, in Lensa v., W., Nabbi R., and Rossbach M., eds., Forschungszentrum Jülich GmbH, Zentralbibliothek, Verlag, Jülich