Frage 139: Ortsdosisleistung des radioaktiven Inventars
Im Rahmen der Kommentierung der Antworten zu den TFS-Fragen 111 bis 120 hat der Fragesteller festgehalten, dass mit den vorliegenden Antworten seine übergeordnete Frage nach dem theoretischen Gefährdungspotential nicht oder nur teilweise beantwortet wurden. Entsprechend hat er im Rahmen der Rückmeldung fünf ergänzende Fragen (TFS-Frage 138 bis 142) eingereicht.
Abgeleitet aus den TFS-Fragen 111, 113, 114, 115 und 119 sowie losgelöst von Szenarien stellt sich folgende Frage:
Die Fachgruppe der RK ZNO bittet das TFS, die Ortsdosisleistung für die in TFS-Frage 111 formulierten Aktivitätsinventare analog zur Fig. 111-3 darzustellen.
Die exakte Bestimmung der effektiven Dosis im Körper einer Person die sich in einem Strahlenfeld aufhält, ist nur mit Hilfe von komplizierten Dosisberechnungen möglich. Selbst im Fall einer homogenen Bestrahlung des menschlichen Körpers, bei der sich der ganze Körper in einem homogenen Strahlenfeld befindet, ist die resultierende Dosisverteilung im Körper alles andere als homogen. Aus diesem Grund wird im Strahlenschutz zur Bestimmung der Dosis auf messbare und gut zugängliche Grössen zurückgegriffen. Eine dieser Grössen ist die Ortsdosis. Sie lässt sich zum Beispiel mithilfe von Ortsdosisleistungsmessgeräten direkt messen und gibt einen Schätzwert der effektiven Dosis für eine Person, die sich an einem bestimmten Ort im aufgeweiteten Strahlenfeld aufhält. Atome zerfallen unterschiedlich, die von ihnen ausgehende Strahlung hat nicht die gleiche Wirkung auf den Menschen. Deshalb werden Umrechnungsfaktoren benötigt, die diesen Umstand berücksichtigen.
Mit den in der Strahlenschutzverordnung aufgelisteten, nuklidspezifischen Umrechnungsfaktoren h10 können Aktivitäten direkt in Ortsdosisleistungen umgerechnet werden. Der Faktor h10 wird verwendet, um die Dosisleistung in 10 mm Gewebetiefe in 1 m Abstand von einer radioaktiven Quelle mit einer Aktivität von 1 Giga-Bequerel (109 Bq) zu berechnen. Diese Umrechnungsfaktoren (h10) sind für die vielen Atomsorten in der Strahlenschutzverordnung, Anhang 3 über 32 Seiten (Seiten 81 bis 113) aufgelistet.
Für radioaktive Quellen gilt allgemein, dass die Dosisleistung proportional zur Aktivität ist und mit zunehmendem Abstand zur Quelle rasch (quadratisch) kleiner wird (Figur 139-2).
Um für dieses hypothetische, unrealistische Gedankenexperiment Ortsdosisleistungen zu berechnen, wurden in den unten beschriebenen Berechnungen die Umrechnungsfaktoren h10 aus der Strahlenschutzverordnung und die von der Nagra angegebenen Nuklid-Inventare verwendet (siehe Antwort zu Frage 138). Berechnet werden die Dosen pro Stunde gemäss Inventar (GBq) × h10 (mSv/Stunde/GBq). Die Dauer, in welcher die letale Dosis von 6000 mSv erreicht wird, kann mittels der Formel 6000 mSv / (Inventar × h10) berechnet werden.
Die Nagra gibt in NTB 02-05, Seite B-5, ein 137Cs-Inventar von 3,4×1015 Bq in den Endlagerbehältern für abgebrannte DWR-Brennelemente an. Es zeigt sich, dass das Nuklid 137Cs die berechneten Dosen dominiert (siehe Tabelle 139-1), die Beiträge der anderen Nuklide sind im Vergleich zu 137Cs deutlich geringer. Die von der Nagra vorgesehenen Behälter für verglaste hochaktive Abfälle enthalten ähnliche Inventare an 137Cs. Mit den in der Antwort zu Frage 138 angegeben Inventaren können die jeweiligen hypothetischen Dosen berechnet werden. Im angesprochenen hypothetischen, unrealistischen Fall würde für das Inventar eines Endlagerbehälters für 4 DWR-Brennelemente eine letale Dosis von 6000 mSv im Abstand von einem Meter innert weniger als 2 Minuten erreicht.
Die Brennelemente sind gemäss der Richtlinie ENSI-G03 in den Endlagerbehältern bis zu 1000 Jahre komplett einzuschliessen. Wiederholt man das obige Gedankenexperiment nach 1000 Jahren ist das 137Cs aufgrund seiner Halbwertszeit von rund 30 Jahren zum grössten Teil zerfallen und die Dosis im Vergleich zu anderen Nukliden unbedeutend geworden.
Im in der Frage 139 betrachteten Fall ist also der Beitrag von 137Cs dominant (Figur 139-3). Die Halbwertszeit von 137Cs beträgt ungefähr 30 Jahre. Die Dosis beträgt deshalb nach 30 Jahren die Hälfte und nach 60 Jahren ein Viertel. Die Brennelemente sind gemäss der Richtlinie ENSI-G03 in den Endlagerbehältern bis zu 1000 Jahre komplett einzuschliessen. Nach 1000 Jahren ist das 137Cs aufgrund seiner Halbwertszeit von rund 30 Jahren zum grössten Teil zerfallen und die Dosis im Vergleich zu den Nukliden wie 241Am unbedeutend geworden.
In Figur 139-4 wird die zeitliche Entwicklung des Beitrags von 137Cs zur Ortsdosisleistung gezeigt. Aufgrund der verwendeten linearen Darstellung (jeweils gleiche Abstände in der Zeit und in der Dosis) kann der Eindruck erweckt werden, dass die Aktivität nach rund 300 Jahren verschwunden ist. Dies ist nicht der Fall.
Deshalb wird in Darstellungen der zeitlichen Entwicklung der Radioaktivität von Abfällen die logarithmische Darstellung verwendet. In Figur 139-5 wird nun die Ortsdosisleistung nicht mehr in gleichen Abständen aufgetragen, sondern jeweils in Faktoren von 100. Wo in Figur 139-4 für die Ortsdosisleistungen 0, 50‘000, 100‘000, 150‘000, 200‘000 und 250‘000 als Achsenbeschriftungen verwendet wurden, wird in Figur 139-5 der Schritt immer um jeweils den Faktor 100 verkleinert. Von 1‘000‘000 zu 10‘000, dann zu 100, dann zu 1, dann zu 0.01, etc. Dies erlaubt es, die jeweiligen Beiträge zur Dosis über die gesamte Zeit genau abzubilden. Die Darstellung ist damit aussagekräftiger und wird deshalb in Publikationen des ENSI und der Nagra verwendet.
Aufgrund der unterschiedlichen Halbwertszeiten der Nuklide ändert sich ihr jeweiliger Beitrag zur Radiotoxizität (Figur 139-6). Die Nagra hat in NTB 02-05, Seite 192, den zeitlichen Verlauf der Radiotoxizität für abgebrannte Brennelemente (oben) und verglaste hochaktive Abfälle (unten) aufgetragen.
Referenzen
NTB 02-05: Project Opalinus Clay: Safety Report – Demonstration of Disposal feasibility for spent fuel; vitrified high-level waste and long-lived intermediate level waste (Entsorgungsnachweis), Nagra Technischer Bericht, Wettingen, 2002.