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Frage 164: Niedrigdosisbereich – Stand der Wissenschaft und offene Fragen

Die Fragestellenden bitten um die Beantwortung der folgenden Fragen zum Thema ionisierende Strahlung im Niedrigdosisbereich. Sie definieren dazu die Begriffe «Niedrigstrahlung» für die ionisierende Strahlung mit einer Dosis von weniger als 100 mGy oder einer Dosisleistung von weniger als 5 mGy/h und «Niedrigststrahlung» für ionisierende Strahlung mit einer Dosis im Bereich von 0.00001 mSv (nSv – µSv):

  1. Welches ist der aktuelle Stand der wissenschaftlich abgestützten Auswirkungen von Niedrigstrahlung? Welche nicht wissenschaftlich abgestützten Vermutungen gibt es?
  2. Im Jahr 2011 empfahl die Eidgenössische Kommission für Strahlenschutz (KSR 2011), Forschungsgebiete wie die Radiobiologie zu unterstützen. Fand seitdem eine solche Unterstützung statt, und falls ja, was hat sie zum Thema Niedrigstrahlung an neuen Erkenntnissen beigetragen?
  3. Welches sind die heute noch bestehenden offenen Fragen beim Thema Niedrig- und Niedrigststrahlung, und welches sind die laufenden und künftig geplanten Forschungsprogramme in diesem Bereich?
  4. Die heutigen gesetzlichen Grundlagen für den langfristigen Schutz vor Niedrigstrahlung beruhen auf den zum Zeitpunkt der Gesetzgebung vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen. In der Zwischenzeit sind neue wissenschaftliche Erkenntnisse bzw. neue unbeantwortete wissenschaftliche Fragen aufgetaucht. Ist es deshalb immer noch hinreichend, damit zu argumentieren, dass die Gesetze erfüllt seien? Wie soll der Gesetzgeber neue Erkenntnisse bzw. unbeantwortete Fragen bei der Anwendung der Gesetze berücksichtigen? Ist es vorstellbar, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu Gesetzesanpassungen führen, welche die Realisierung eines Tiefenlagers verunmöglichen?
  5. Der Bundesrat empfiehlt, «auch die Fortschritte in der Zellbiologie zu verfolgen» (Bundesrat 2018). Wie ist der Stand heute? Welche Forschungsprojekte wurden seit der Veröffentlichung der entsprechenden Postulatsantwort initiiert, und welche Ergebnisse sind bis wann zu erwarten?

Referenzen

Bundesrat (2018): Bericht des Bundesrats zum «Kenntnisstand betreffend Risiken ionisierender Strahlung im Niedrigdosisbereich» in Erfüllung des Postulats Fehr 08.3475 vom 2. März 2018.

KSR (2011): Stellungnahme der KSR/CPR zur Publikation von Scherb und Voigt über einen möglichen Zusammenhang zwischen Strahlung und Geschlechterverhältnis, Eidgenössische Kommission für Strahlenschutz und Überwachung der Radioaktivität, 10. Oktober 2011.

Thema Bereich |
Eingegangen am 3. Oktober 2022 Fragende Instanz FG Si ZNO
Status beantwortet
Beantwortet von , ,

Beantwortet von ENSI

a)

Der Kenntnisstand betreffend Risiken ionisierender Strahlung im Niedrigdosisbereich ist im Bericht zur Erfüllung des Postulats Fehr 08.3475 vom 2. März 2018 zusammengefasst. Der Bericht gelangt zum Schluss, dass die neusten Studien die Anwendung des linearen Modells ohne Schwellenwert als Basis für den Strahlenschutz in der Schweiz stützen. Nach diesem Modell erhöht jede Exposition mit ionisierender Strahlung, selbst bei niedrigen Dosen, das Risiko für Krebs oder Erbkrankheiten linear, und es gibt keinen Schwellenwert, unter dem davon ausgegangen werden kann, dass eine Exposition keine Wirkung zeigt. Die Einhaltung der in der Gesetzgebung festgelegten Dosisgrenzwerte stellt sicher, dass dieses Risiko für die Bevölkerung tragbar ist. (siehe auch TFS-Frage 152)

Der Bericht betont, dass es für die Schweiz wichtig ist, sich an internationalen Überlegungen und Studien zu beteiligen, um ihre Kompetenzen bei der Einschätzung von Strahlenrisiken dauerhaft zu erhalten. Der Bericht führt weiter aus, dass die Wirkung ionisierender Strahlung im Niedrigdosisbereich auf das Herz-Kreislauf-System ungenügend geklärt ist und besondere Aufmerksamkeit verdient. Einige Studien zeigen das Auftreten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Dosen unter einigen Sievert. Da bisher aber keine Mechanismen bekannt sind, die für diese Wirkung verantwortlich sein könnten, verzichten UNSCEAR und ICRP gegenwärtig darauf, diese Auswirkungen in der Schätzung der Risiken schwacher Dosen zu berücksichtigen. Auch die Fortschritte in der Zellbiologie sind zu verfolgen, denn sie tragen dazu bei, die Mechanismen der strahlenbedingten Auslösung von Krebserkrankungen besser zu verstehen.

Im Bericht «Störfallanalysen bei Kernanlagen und ionisierende Strahlung im Niedrigdosisbereich» vom 8. Dezember 2023 zur Erfüllung des Postulates 18.4107 vom 13. November 2018 hält der Bundesrat fest:

«Schliesslich nimmt der Bundesrat die neusten Entwicklungen in der Wissenschaft betreffend niedrige Strahlendosen zur Kenntnis. Insbesondere nimmt er zur Kenntnis, dass die neusten epidemiologischen Studien die Anwendung des linearen Modells ohne Schwellenwert als Grundlage für das aktuelle Strahlenschutzsystem in der Schweiz unterstützen. Die in der Strahlenschutzverordnung festgelegten Dosisgrenzwerte und weitere Dosiskriterien stellen nach wie vor sicher, dass das Risiko für die Bevölkerung tragbar ist. Es gibt daher keinen gesetzgeberischen Revisionsbedarf.»

Weil die Bevölkerung kontinuierlich einer gewissen Strahlung im Niedrigdosisbereich ausgesetzt ist und diese Belastung überdies infolge des Wohnortes, des Lebensstils sowie der individuellen Empfindlichkeit der exponierten Person schwankt, ist es schwierig, das Risiko einzuschätzen, das mit einer zusätzlichen geringen Dosis verbunden ist. Noch schwieriger sind Schätzungen der krebsauslösenden Wirkungen, umso mehr, als der strahlenbedingte Beitrag zur Krebsinduktion von Schwankungen der Basisinzidenz überlagert ist. In der Schweiz liegt die jährliche Belastung der Bevölkerung durch Strahlung aus natürlichen und künstlichen Quellen durchschnittlich in der Grössenordnung von rund 6 mSv (BAG 2023) und somit im Niedrigdosisbereich.

Der Bericht kommt zum Schluss, dass die Modellierung der Risiken für die Bedürfnisse des Strahlenschutzes sich auf eine solide Basis stützt und das in epidemiologischen Studien gewonnene Wissen sachgerecht nutzt, indem die biologischen Mechanismen berücksichtigt werden. Eine radikale Verbesserung dieser Modellierung aufgrund aktueller epidemiologischer und biologischer Erkenntnisse ist nicht zu erkennen.

Weiterführende Informationen:

Internationale Gremien wie die ICRP oder UNSCEAR prüfen in regelmässigen Abständen Studien zu neuen Erkenntnissen bezüglich der Wirkung von ionisierender Strahlung. Der aktuelle wissenschaftliche Stand ist in den entsprechenden Berichten zusammengefasst:

Bei der Literatursuche wird unter anderem auf die Studienqualität Rücksicht genommen. Unwissenschaftliche Publikationen werden dabei aussortiert.

b)

Das ENSI unterstützt aktuell drei Forschungsprojekte, die sich mit den Grundlagen der Nanodosimetrie, der Biodosimetrie und der Epidemiologie auseinandersetzen. Die aus den Projekten gewonnen Erkenntnisse werden entweder direkt in wissenschaftlichen Fachzeitschriften publiziert oder jährlich im Erfahrungs- und Forschungsbericht des ENSI zusammengefasst.

Nanodosimetrieprojekt

Die Wirkung ionisierender Strahlung auf die Physiologie des Menschen fällt aufgrund von physikalischen Teilcheneigenschaften wie zum Beispiel der Masse, der elektrischen Ladung und verschiedenen Energien unterschiedlich aus. Um den biologischen Schaden für verschiedene Strahlenarten zu vergleichen, wird die vom Gewebe absorbierte Dosis beziehungsweise Energie mit einem Qualitätsfaktor für die Strahlungsart multipliziert. Diese Qualitätsfaktoren werden bisher aus der Kombination von Daten aus biologischen Experimenten und Annahmen über die Ionisationsdichteverteilung gewonnen. Der Vorgang ist allerdings zeitaufwändig und komplex. Im Rahmen einer Dissertation wird nun mittels Nanodosimetrie versucht, eine physikalisch messbare Grösse zu finden, mit der man die Variable der absorbierten Dosis ersetzen und den biologischen Schaden direkt quantifizieren kann. Ausgehend von dieser Messgrösse soll dann ein biophysikalisches Modell erstellt werden, welches den resultierenden Strahleneffekt beschreibt. Im Idealfall kann daraus ein neues Strahlenschutzmodell entwickelt werden.

Biodosimetrieprojekt

Die Wirkung von ionisierender Strahlung auf den menschlichen Körper ist in vielen wissenschaftlichen Forschungsgebieten ein aktuelles Thema. In der Medizin und Biologie werden zum Beispiel Chromosomenschäden untersucht. Eine bekannte Methode hierfür ist die Biodosimetrie, mit welcher der Nachweis und die Quantifizierung einer Strahlenbelastung anhand biologischer Indikatoren erbracht werden können. Für die Biodosimetrie werden aktuell vor allem zwei Methoden herangezogen: Messung der Zeit bis zum Erbrechen und die Chromosomenanalyse. Diese Methoden sind entweder sehr ungenau oder sehr zeitaufwändig. Das Ziel des Forschungsprojekts ist, eine Biodosimetrie auf Basis von Metaboliten zu erforschen, welche eine schnellere und möglicherweise genauere Methode zur Dosisbestimmung verspricht. Diese würde ein wertvolles Werkzeug bei radiologischen Unfällen bedeuten.

Epidemiologieprojekt

Um das aus einer Strahlenexposition resultierende Gesundheitsrisiko zu berechnen, werden statistische Ansätze verwendet. In diesem Projekt wird die Berechnung des strahleninduzierten Krebsrisikos aufgrund neuer Erkenntnisse aus der Forschung und unter Berücksichtigung von bis anhin nicht einbezogenen Unsicherheiten, weiterentwickelt. Hierfür wird der Einfluss von verschiedenen Faktoren, wie beispielsweise der relativen biologischen Wirksamkeit von Neutronen in der sogenannten Life Span Study über die Atombombenüberlebenden aus Japan oder die Anwendung der Multi-Modell-Inferenz Methode auf die Berechnungen des strahleninduzierten Krebsrisikos, untersucht.

Weiterführende Informationen:

Folgende Publikationen sind aus den genannten Projekten bis jetzt hervorgegangen:

Nanodosimetrie:

Epidemiologie:

c)

Im Rahmen der Grundlagenforschung wird es immer weitere, offene Fragen zum Thema Niedrigstrahlung geben, analog zu unserem Wissensdrang die Schnittstelle zwischen Physik, Chemie und Biologie besser verstehen zu können. Einer der Schwerpunkte im Rahmen des Strahlenschutzes wird es aber bleiben, immer bessere Modelle zur Einschätzung stochastischer Strahlenschäden im Niedrigdosisbereich zu entwickeln. Das ENSI unterstützt aktuell wie in b) erwähnt hierfür drei Forschungsprojekte, die sich mit den Grundlagen der Nanodosimetrie, der Biodosimetrie und der Epidemiologie auseinandersetzen.

Der Bericht des Bundesrats zum «Kenntnisstand betreffend Risiken ionisierender Strahlung im Niedrigdosisbereich» in Erfüllung des Postulats Fehr 08.3475 vom 2. März 2018 weist auf folgende Fragestellungen hin: Die Wirkung ionisierender Strahlung im Niedrigdosisbereich auf das Herz-Kreislauf-System ist ungenügend geklärt und verdient besondere Aufmerksamkeit. Auch die Fortschritte in der Zellbiologie sind zu verfolgen, denn sie tragen dazu bei, die Mechanismen der strahlenbedingten Auslösung von Krebserkrankungen besser zu verstehen. Weiter gibt es offene Fragen bezüglich der Wirkung ionisierender Strahlung auf das Nerven- und Immunsystem.

Weiterführende Informationen:

Ferner gibt es auch internationale Forschungsprogramme und Gremien (Bsp. ICRP, UNSCEAR), die sich mit verschiedenen Themen im Bereich der Wirkung von ionisierender Strahlung auseinandersetzen. Die aktuellen Themen werden auf den entsprechenden Websites jeweils erläutert:

e)

Der Bund, insbesondere der Schweizerische Nationalfonds, unterstützt in jeder Förderungsperiode mehrere Projekte, die im Bereich der Grundlagen und angewandten Forschung die Wirkung von ionisierender Strahlung auf die Zelle und den Organismus (Strahlenbiologie) untersuchen. Diese Projekte sind im Datenportal unter https://data.snf.ch abrufbar.

Projekte, die seit 2018 gefördert wurden, sind beispielsweise:

Das ENSI hat seinerseits seit dem Postulat die unter Buchstabe b) aufgelisteten Forschungsprojekte initiiert.

Beantwortet von BAG

b)

Ergänzende Antwort des BAG zur Antwort des ENSI auf Frage 164 b):

Der Bericht des Bundesrates «Kenntnisstand betreffend Risiken ionisierender Strahlung im Niedrigdosisbereich» vom 2. März 2018, in Erfüllung des Postulats 08.3475 Fehr Hans-Jürg, stellt fest, dass die direkte Beteiligung der Schweiz im Bereich der Radiobiologie relativ begrenzt ist. Seit Jahren verfügt die Schweiz über kein spezialisiertes Institut für Radiobiologie mehr, das direkt zur Forschung über die Wirkmechanismen von Niedrigstrahlung auf biologischer Ebene beitragen könnte. Deshalb konzentriert sich die Schweiz, insbesondere das BAG, auf die Beteiligung an internationalen Initiativen zu den Auswirkungen von Niedrigstrahlung.

Das BAG nahm zum Beispiel im Verwaltungsrat des EU-Programms CONCERT («European Joint Programme for the Integration of Radiation Protection Research», unter «Horizon 2020») Einsitz. Dabei beteiligte es sich an der strategischen Begleitung zur Bestimmung der Prioritäten in der Strahlenschutzforschung in Europa. Zu diesen Prioritäten gehörten auch die Forschung in der Radiobiologie bei niedrigen Dosen. Wie erwartet meldete sich aber kein Schweizer Institut, um sich einem Projekt in diesem Bereich anzuschliessen. Im Rahmen von CONCERT hat das BAG jedoch die Tätigkeiten von drei Schweizer Forschungsinstituten, namentlich der Universität Zürich sowie der Universitätsspitäler Genf und Waadt, für zwei Projekte im Bereich Notfallschutz und Patientendosimetrie kofinanziert. Die Ergebnisse aller unter CONCERT durchgeführten Projekte, auch derjenigen mit Bezug zur Radiobiologie, sind hier verfügbar.

Die Mittel, die dem BAG zur Finanzierung der Ressortforschung im Strahlenschutz zur Verfügung stehen, sind sehr begrenzt. Die Forschungsschwerpunkte des BAG werden regelmässig in einem mehrjährigen Forschungskonzept festgelegt (siehe letzte Version «Forschungskonzept Gesundheit 2021-2024»). Die Forschungsschwerpunkte im Strahlenschutz liegen hauptsätzlich bei der Evaluation der medizinischen Strahlenanwendungen mit dem Ziel, die Aufsichtstätigkeiten zu regulieren. Die Radiobiologie bei niedrigen Dosen gehört nicht zu den prioritären Themen der durch das BAG initiierten Forschung. Ausserdem hat es in den letzten zehn Jahren auch keine Finanzierungsanträge im Bereich der Radiobiologie erhalten. Im Bereich der Epidemiologie zur Wirkung von Niedrigstrahlung finanzierte das BAG dennoch punktuell schweizerische Studien mit, deren Ergebnisse auch im oben erwähnten Postulatsbericht 08.3475 zusammengefasst sind. Im Einklang damit konzentriert sich die Schweiz auf die Mitarbeit in internationalen Organisationen, die sich mit Strahlenwirkungen befassen und auf deren Unterstützung. Eine solche Beteiligung ist auch wichtig, um die Kenntnisse beim Bund im Bereich der radiologischen Risiken und des Strahlenschutzes im Allgemeinen auf dem neuesten Stand zu halten. Auf diesem Wissen beruht das Strahlenschutzsystem der internationalen Strahlenschutzkommission (ICRP), das auf nationaler Ebene herangezogen wird.

e)

Ergänzende Antwort des BAG zur Antwort des ENSI auf Frage 164 e):

Wie im Postulatsbericht 08.3475 erwähnt, geht es dem Bund darum, den Wissensstand in der Radiobiologie (und allgemein zu Risiken im Niedrigdosisbereich) zu verfolgen, und nicht spezifische Forschungsprojekte zu initiieren. Zu diesem Zweck konzentriert sich das BAG auf die Mitarbeit in internationalen Organisationen, die sich mit Strahlenwirkungen befassen und/oder deren Unterstützung, insbesondere die internationale Strahlenschutzkommission (ICRP) und der wissenschaftliche Ausschuss der Vereinten Nationen für die Auswirkungen radioaktiver Strahlung (UNSCEAR).

Die ICRP hat das internationale System zum Strahlenschutz entwickelt und hält es auf dem aktuellen Stand. Professor François Bochud, ehemaliger Präsident der Eidgenössischen Kommission für Strahlenschutz (KSR), ist aktuell Mitglied der Hauptkommission der ICRP. Diese Mitgliedschaft ist sehr wertvoll, da sie einen effizienten Informationsaustausch zwischen der Schweiz, u.a. der KSR, und der ICRP ermöglicht. Die Aktivitäten im Zusammenhang mit der Strahlenbiologie fallen in den Zuständigkeitsbereich des ICRP-Komitees 1 «Radiation Effects», ein Überblick über die laufenden Arbeiten ist hier zu finden. Seit 2017 hat sich das BAG verpflichtet, die ICRP während fünf Jahren finanziell zu unterstützen. Diese Unterstützung wurde für den Zeitraum 2023–2027 erneuert.

Der UNSCEAR bewertet gemäss seinem Mandat die Strahlendosen und die Auswirkungen ionisierender Strahlung auf internationaler Ebene und stellt eine wissenschaftliche Basis für den Strahlenschutz bereit. Seit 2016 umfasst die deutsche Delegation des UNSCEAR einen Vertreter des BAG, was dem BAG ermöglicht, die Tätigkeiten näher zu verfolgen. Eine wichtige UNSCEAR-Veröffentlichung mit Bezug zur Strahlenbiologie ist Anhang C Biological mechanisms relevant for the inference of cancer risks from low-dose and low-dose-rate radiation des Berichtes UNSCEAR 2020/2021. Das aktuelle Arbeitsprogramm des UNSCEAR ist hier verfügbar.

Der Postulatsbericht 08.3475 informiert über den Kenntnisstand zu den Risiken ionisierender Strahlung im Niedrigdosisbereich und stützt sich dabei sowohl auf Erkenntnisse der Radiobiologie als auch der Epidemiologie. Die Frage zu den seit der Veröffentlichung dieses Berichts neuen Kenntnissen war Teil des Auftrags zum Bericht in Erfüllung des Postulats 18.4107 UREK-S «Dosisgrenzwerte bei Kernanlagen, radioaktive Strahlung und Strahlenschutz». Der Bericht in Erfüllung des Postulates 18.4107 vom 8. Dezember 2023 stellt fest, dass die Schlussfolgerungen des Postulatsberichts 08.3475 auch im Lichte der neuesten Erkenntnisse zu den Gesundheitseffekten bei niedrigen Dosen weiterhin gültig sind. Sie werden sogar insofern gestärkt, als dass diese neuesten Erkenntnisse die Relevanz des linearen Modells ohne Schwellenwert («linear-non-threshold», LNT) als Grundlage für den Strahlenschutz unterstützen. Der dazugehörige Überprüfungsbericht des französischen «Institut de Radioprotection et de Sûreté Nucléaire (IRSN)» enthält eine Zusammenfassung und Synthese der jüngsten wissenschaftlichen Literatur. Die in den letzten Jahren gewonnenen epidemiologischen Erkenntnisse erweitern den wissenschaftlichen Kenntnisstand zum Krebsrisiko erheblich. Sie zeigen, dass bei Dosiswerten in der Grössenordnung von 100 mGy oder weniger zumindest für alle Krebsarten zusammengenommen und auch für bestimmte spezifische Krebsarten ein zusätzliches Krebsrisiko besteht. Bei Nicht-Krebs-Erkrankungen sind die Unsicherheiten nach wie vor sehr gross und die Heterogenität der Ergebnisse schränkt die Möglichkeit ein, die Risiken bei niedrigen Dosen zu charakterisieren. Der IRSN-Bericht betont, dass es weitere Forschungsanstrengungen in der Strahlenbiologie und in der Strahlenepidemiologie braucht, um die Quantifizierung der Dosis-Wirkungs-Beziehungen bei niedrigen Dosen zu verbessern. Auch wenn die Lancierung von Forschungsprojekten in diesen Bereichen wegen begrenzten Ressourcen keine Priorität für das BAG ist, wird es weiterhin die wissenschaftlichen Fortschritte verfolgen.

Beantwortet von BFE

d)

Die Grundlage des staatlichen Handelns ist das Recht. Die Behörden sind bei der Ausübung ihrer Tätigkeiten dazu verpflichtet, sich an die geltenden gesetzlichen Regelungen zu halten. Es bestehen ausreichende Mechanismen, mit denen bei Bedarf die gesetzlichen Regelungen an aktuelle Bedürfnisse oder Erkenntnisse angepasst werden können.

Vorbemerkungen:

Gesetzliche Grundlagen für den langfristigen Schutz vor ionisierender Strahlung durch Kernanlagen – einschliesslich der Strahlung im Niedrigdosisbereich – befinden sich in der Kernenergiegesetzgebung (u. a. Kernenergiegesetz, Kernenergieverordnung) sowie in der Strahlenschutzgesetzgebung (Strahlen­schutzgesetz, Strahlenschutzverordnung). Diese wurden mit dem Ziel erlassen, die Bevölkerung vor Gefährdungen durch künstliche und natürliche ionisierende Strahlung zu schützen. Dabei wurden unter anderem auch die zulässigen Grenz- und Richtwerte für Strahlenexpositionen für verschiedene Situationen und Zielgruppen festgelegt.

Das BFE beantwortet die Frage 164 d) entsprechend seiner Zuständigkeit aus formaler Sicht. Eine Beurteilung, ob überhaupt relevante wissenschaftliche Erkenntnisse im Gebiet der ionisierenden Strahlung im Niedrigdosisbereich vorliegen, oder wie die zuständigen Fachstellen den Stand der Wissenschaft unter diesem Gesichtspunkt verfolgen, ist nicht Gegenstand der Antwort. Dazu wird auf die Beantwortung der Teilfragen a) bis c) und e) sowie der TFS-Fragen 152 und 165 bis 168 durch andere Organisationen verwiesen.

«In der Zwischenzeit sind betreffend den langfristigen Schutz vor Niedrigstrahlung neue wissenschaftliche Erkenntnisse bzw. neue unbeantwortete wissenschaftliche Fragen aufge­taucht. Ist es deshalb immer noch hinreichend, damit zu argumentieren, dass die Gesetze erfüllt seien?»

In der Bundesverfassung ist das Legalitätsprinzip verankert: Das staatliche Handeln muss gesetzmässig sein (Art. 5 Abs. 1 der Bundesverfassung). Einklagbare und staatlich durchsetzbare Rechte und Pflichten werden demzufolge auch für die Betreiberin einer Kernanlage ausschliesslich gestützt auf das Gesetz festgelegt. Somit müssen sich namentlich auch Bewilligungsauflagen im Rahmen des Gesetzes bewegen. Dies bedeutet, dass von der Betreiberin eines geologischen Tiefen­lagers für den langfristigen Schutz vor Niedrigstrahlung auch nicht mehr verlangt werden kann, als das aktuelle Gesetz verlangt. Falls nun jemand der Ansicht sein sollte, dass die aktuellen gesetzlichen Grundlagen für den langfristigen Schutz vor Strahlung im Niedrigdosisbereich ungenügend seien, so könnte in einem Rechtsstaat die Verpflichtung zur Erhöhung des Schutzes vor Niedrigstrahlung nur per Anpassung der entsprechenden Gesetzgebung erwirkt werden (siehe weiter unten).

Die bestehenden zentralen Vorschriften in Zusammenhang mit der Beurteilung der Sicherheit von Kernanlagen sind jedoch so formuliert, dass sie stets die Berücksichtigung des aktuellen internationalen Standes von Wissenschaft und Technik verlangen (vgl. beispielsweise Art. 4 Abs. 3 Bst. a des Kernenergiegesetzes oder Art. 36 der Kernenergieverordnung). Eine Kernanlage wird bezüglich ihrer Sicherheit nicht nur einmal zum Zeitpunkt des Bewilligungsverfahrens beurteilt; vielmehr handelt es sich um einen kontinuierlichen Prozess, bei dem die Kernanlage durch den Betreiber regelmässig überprüft und nachgerüstet werden muss. Dieser Prozess wird vom ENSI überwacht. Wie das ENSI neue Erkenntnisse aus Wissenschaft und Technik in seine Aufsichtstätigkeit einfliessen lässt, ist in der Antwort auf die TFS-Frage 155 beschrieben.

Selbstverständlich steht es überdies der Projektantin eines geologischen Tiefenlagers frei, bei den Planungen eine grössere Sicherheitsmarge vorzusehen, als dies vorgegeben ist, um den Schutz vor ionisierender Strahlung, einschliesslich Niedrigstrahlung, weiter zu verstärken und die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben sicherzustellen.

«Wie soll der Gesetzgeber neue Erkenntnisse bzw. unbeantwortete Fragen bei der Anwendung der Gesetze berücksichtigen?»

Grundsätzlich sind sämtliche rechtlichen Vorgaben abänderbar. Falls neue wissenschaftliche Erkenntnisse den Schluss zulassen, dass gewisse rechtlichen Vorgaben abzuändern sind, kann das zuständige Fachamt – für den Strahlenschutz ist dies das Bundesamt für Gesundheit (BAG) – eine Änderung der Vorgaben von sich aus initiieren. Auch durch die Allgemeinheit oder politische Instanzen kann eine Änderung mit einer Vielzahl von politischen Instrumenten erwirkt werden (unter anderem Volks‑/Standesinitiative, Motion, parlamentarische Initiative, Initiativrecht des Bundesrats). Die Sinn­haftigkeit einer solchen allfälligen Änderung im Bereich der Niedrigstrahlung müsste im Hinblick auf die technische Umsetzbarkeit und die gesellschaftliche und politische Akzeptanz von möglichen Auswirkungen auf ein Tiefenlagerprojekt dannzumal situationsspezifisch abgewogen werden.

Es entspricht der allgemeinen Praxis der Gesetzgebung, dass Gesetzeserlasse bei festgestelltem Bedarf angepasst werden. Im technischen Bereich sind die einzuhaltenden Grundsätze und Prinzipien oft auf der Stufe des Gesetzes festgelegt, währenddem die dafür anzuwendenden Detaillierungen, ein­schliesslich Kriterien, Richt‑ und Grenzwerte, auf der untergeordneten Stufe der Verordnungen festge­halten sind. Somit ist häufig eine vergleichsweise einfache und rasche Anpassung der Ausführungs­bestimmungen an die aktuellen Erfordernisse auf Stufe der Verordnung möglich, während die grundlegenden Bestimmungen des Gesetzes weiterhin ihren Bestand behalten.

«Ist es vorstellbar, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu Gesetzesanpassungen führen, welche die Realisierung eines Tiefenlagers verunmöglichen?»

Der Schutz von Mensch und Umwelt vor ionisierender Strahlung ist ein zentraler Grundsatz der Strahlenschutz‑ und Kernenergiegesetzgebung (Art. 1 des Strahlenschutzgesetzes, Art. 4 des Kern­energiegesetzes). Wie oben dargestellt, können neue wissenschaftliche Erkenntnisse dazu führen, dass Gesetze oder Verordnungen anzupassen sind. Eine solche Änderung könnte – je nach ihrer Strenge und dem bereits bestehenden Projektstand eines geologischen Tiefenlagers – unterschiedliche Aus­wirkungen auf die weitere Realisierbarkeit eines Tiefenlagers haben. Vorausgesetzt, dass es ausschlag­gebende neue wissenschaftliche Erkenntnisse im Bereich der Strahlung im Niedrigdosisbereich gäbe, könnte dies allenfalls auch dazu führen, dass die Realisierung eines geologischen Tiefenlagers in Frage gestellt würde.

Referenzen

BAG (2023): Strahlenschutz und Überwachung der Radioaktivität in der Schweiz – Ergebnisse 2023. Jahresbericht 2023 der Abteilung Strahlenschutz, Bundesamt für Gesundheit BAG.

ICRP (2007): The 2007 Recommendations of the International Commission on Radiological Protection. ICRP Publication 103. Ann. ICRP 37 (2-4). https://www.icrp.org/publication.asp?id=ICRP%20Publication%20103

Kempf, I., Stäuble, T., Schneider, U. (2022): Electrostatic field simulations and dynamic Monte Carlo simulations of a nanodosimetric detector. Nucl. Instrum. Methods Phys. Res. A, 1028 (2022) 166374,  https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0168900222000481

Vasi, F. et al. (2021): FIRE: A compact nanodosimeter detector based on ion amplification in gas. Nucl. Instrum. Methods Phys. Res. A, 999 (2021) 165116, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0168900221001005

Kempf, I., Schneider, U. (2023): Monte Carlo model for ion mobility and diffusion for characteristic electric fields in nanodosimetry. DOI 10.1016/j.zemedi.2022.12.006,
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0939388922001398

Hafner, L., Walsh, L. (2021): Valid versus invalid radiation cancer risk assessment methods illustrated using Swiss population data. J. Radiol. Prot. 41 1228, https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1361-6498/ac290a

Hafner, L.,  Walsh, L., Rühm W. (2021): Assessing the impact of different neutron RBEs on the all solid cancer radiation risks obtained from the Japanese A-bomb survivors data. International Journal of Radiation Biology, 99:4, 629-643, https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/09553002.2022.2117871

Stabilini, A., Hafner, L., Walsh, L. (2023): Comparison and multi-model inference of excess risks models for radiation-related solid cancer. Radiat Environ Biophys 62, 17–34 (2023).
https://link.springer.com/article/10.1007/s00411-022-01013-0

Hafner, L., Walsh, L. (2023): Application of multi-method-multi-model inference to radiation related solid cancer excess risks models for astronaut risk assessment. DOI 10.1016/j.zemedi.2023.06.003, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0939388923000806

KEG: Kernenergiegesetz vom 21. März 2003 (Stand am 1. Januar 2022), Schweiz, SR 732.1.

KEV: Kernenergieverordnung vom 10. Dezember 2004 (Stand am 1. Februar 2019), Schweiz, SR 732.11.

KSR (2011): Stellungnahme der KSR/CPR zur Publikation von Scherb und Voigt über einen möglichen Zusammenhang zwischen Strahlung und Geschlechterverhältnis. https://www.bag.admin.ch/dam/bag/de/dokumente/str/kommission-strahlenschutz/stellungnahmen-strahlenschutz/2011-11-04-stellungnahme-publikation-scherb-voigt-geschlechter-strahlung.pdf.download.pdf/2011-11-04-stellungnahme-publikation-scherb-voigt-geschlechter-strahlung.pdf

Schweizer Bundesrat (2018): Kenntnisstand betreffend Risiken ionisierender Strahlung im Niedrigdosisbereich. Bericht des Bundesrats in Erfüllung des Postulats 08.3475, Fehr Hans-Jürg vom 17. September 2008, Bern, 2. März 2018.

Schweizer Bundesrat (2023): Störfallanalysen bei Kernanlagen und ionisierende Strahlung im Niedrigdosisbereich. Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulates 18.4107, Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerats vom 13. November 2018 , Bern, 8. Dezember 2023.

StSG: Strahlenschutzgesetz vom 22. März 1991 (Stand am 1. Juli 2023), Schweiz, SR 814.50.

StSV: Strahlenschutzverordnung vom 26. April 2017 (Stand am 1. Januar 2022), Schweiz, SR 814.501.

UNSCEAR (2020/2021): Sources, Effects and Risks of Ionizing Radiation, Volume III, Annexe C: Biological mechanisms relevant for the inference of cancer risks from low-dose and low-dose-rate radiation. United Nations, New York, NY. https://www.unscear.org/unscear/uploads/documents/unscear-reports/UNSCEAR_2020_21_Report_Vol.III-CORR.pdf