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Technisches Forum Sicherheit

Frage 165: Niedrigdosisbereich – Einschätzungen zu nicht wissenschaftlich fundierten Aussagen

Die Fragestellenden bitten um die Beantwortung der folgenden Fragen zum Thema ionisierende Strahlung im Niedrigdosisbereich. Sie definieren dazu die Begriffe «Niedrigstrahlung» für die ionisierende Strahlung mit einer Dosis von weniger als 100 mGy oder einer Dosisleistung von weniger als 5 mGy/h und «Niedrigststrahlung» für ionisierende Strahlung mit einer Dosis im Bereich von 0.00001 mSv (nSv – µSv):

  1. Wie ist die Stellungnahme des Technischen Forums Sicherheit (TFS) zu den von diversen Wissenschaftlern als unwissenschaftlich bezeichneten Untersuchungen zu Störungen der Fortpflanzung beim Menschen infolge Low Dose Ionizing Radiation, (LDIR) mit niedrigen und niedrigsten ionisierenden Strahlendosen hinsichtlich
    • strahleninduzierten Fehlbildungen,
    • perinatalen Todesfällen,
    • Säuglingssterblichkeit,
    • tiefem Geburtsgewicht,
    • Verschiebungen des Geschlechterverhältnisses bei Lebend- und Totgeburten?
  2. Wie stellt sich das TFS zur seit vielen Jahren direkt oder indirekt vertretenen Hypothese, dass sich der menschliche oder tierische Körper auf die bekannte terrestrische und kosmische Strahlung einstellen kann, wogegen die neue „künstliche“ Strahlung noch nicht antizipiert ist? (siehe z.B. die Arbeiten von Cornelia Hesse u.a.)
  3. Wie ist die Einschätzung des TFS bezüglich der Stellungnahme des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) zum Entwurf des Strahlenschutzgesetzes von 2017, welche mögliche Mängel der deutschen Strahlenschutzgesetzgebung bis 2017 aufführt? Ist es richtig, dass diese Mängel vor allem auf das veraltete, aber immer noch geltende ICRP (International Commission on Radioprotection) – Dokument 103 aus dem Jahr 2007 zurückzuführen sind? Trifft es zu, dass der offizielle Strahlenschutz in Deutschland – genauso wie in der Schweiz – die zahlreichen Arbeiten zur Genetik und zu den Effekten auf die Fortpflanzung im Niedrig- und Niedrigstdosisbereich beim Menschen noch nicht aufgegriffen hat? Eine Revision des ICRP 103-Dokumentes ist in den nächsten Jahren nicht zu erwarten. Da die ICRP auch für den Schweizer Strahlenschutz eine wichtige Grundlage ist, stellt sich die Frage, ob die Schweiz nicht ebenfalls mehr als 15 Jahre hinter dem aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand hinterherhinkt.
Thema Bereich
Eingegangen am 3. Oktober 2022 Fragende Instanz FG Si ZNO
Status beantwortet
Beantwortet am 8. Juni 2023 Beantwortet von

Beantwortet von ENSI

a)

Internationale Gremien wie die ICRP oder UNSCEAR prüfen in regelmässigen Abständen Studien zu neuen Erkenntnissen bezüglich der Wirkung von ionisierender Strahlung. Bei der Literatursuche wird unter anderem auf die Studienqualität Rücksicht genommen. Unwissenschaftliche Publikationen werden dabei aussortiert.

b)

Um diese Frage zu beantworten, muss zunächst der Begriff «ionisierende Strahlung» erklärt werden. In der Physik wird zwischen ionisierender Strahlung und nicht-ionisierender Strahlung unterschieden. Der Unterschied zwischen diesen zwei Strahlenarten besteht in ihrer Energie. Ionisierende Strahlung besitzt genügend Energie, um der Atomhülle Elektronen zu entreissen. Diesen Vorgang nennt man «Ionisation». Nicht-ionisierende Strahlung dagegen hat nicht genug Energie, um diesen physikalischen Prozess auszulösen. Ob die ionisierende Strahlung nun aus natürlichen Quellen kommt oder künstlich hergestellt wird, spielt für den physikalischen Prozess, der hinter der Ionisation steckt, keine Rolle. Der Prozess und die Wirkung bleiben gleich.

Ferner sei angemerkt, dass die meisten Erkenntnisse zur Wirkung ionisierender Strahlung auf den menschlichen Körper aus Studien stammen, die auf künstlich hergestellter ionisierender Strahlung beruhen. Beispiele dafür sind Erkenntnisse, die aus der Radiotherapie und den Daten der Atombombenüberlebenden gewonnen wurden.

c)

Für Fragen bezüglich der deutschen Strahlenschutzgesetzgebung verweisen wir auf das Bundesamt für Strahlenschutz (https://www.bfs.de).
Bei der ICRP wurden jüngst neue Task Groups gebildet, die den aktuellen Stand der Wissenschaft untersuchen und darauf basierend ihre Empfehlungen veröffentlichen werden. Diese Empfehlungen fliessen dann in den überarbeiteten ICRP Report 103 ein, die jeweiligen Berichte der Task Groups werden jedoch früher veröffentlicht. Mit dem Thema Wirkung von ionisierender Strahlung auf Nachwuchs und nächste Generationen beschäftigt sich aktuell die Task Group 121 der ICRP (https://www.icrp.org/icrp_group.asp).

Änderungen in den Empfehlungen, werden nach der Veröffentlichung schrittweise in die Gesetzgebung verschiedenster Länder übernommen, so auch in die der Schweiz wie beispielsweise schon bei der letzten Revision der Strahlenschutzverordnung. Die schweizerische Gesetzgebung ist daher dem wissenschaftlichen Kenntnisstand angepasst. Auch der Bericht des Bundesrates zum «Kenntnisstand betreffend Risiken ionisierender Strahlung im Niedrigdosisbereich» vom 18. März 2018 kommt zum Schluss, dass die bis zu diesem Datum gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnisse die Schweizer Gesetzgebung in ihrer Aktualität bestätigen (siehe auch TFS-Frage 152).

Referenzen

ICRP (2007): The 2007 Recommendations of the International Commission on Radiological Protection. ICRP Publication 103. Ann. ICRP 37 (2-4). https://www.icrp.org/publication.asp?id=ICRP%20Publication%20103

Schweizer Bundesrat (2018): Kenntnisstand betreffend Risiken ionisierender Strahlung im Niedrigdosisbereich. Bericht des Bundesrats in Erfüllung des Postulats 08.3475, Fehr Hans-Jürg vom 17. September 2008, Bern, 2. März 2018.