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Frage 67: Markierung des Lagers

Im Kernenergiegesetz Art. 40, Abs. 7: «Der Bundesrat schreibt die dauerhafte Markierung des Lagers vor.» ist klar geregelt, dass das Lager dauerhaft, also für eine Million Jahre, markiert werden muss. Es ist völlig unklar, wie man 33 000 künftigen Generationen klar machen kann, dass im Untergrund giftiger Atommüll lagert. Schriften, Sprachen und Zeichen verändern sich. Möglicherweise geht das Wissen um radioaktiven Müll ganz verloren, wenn Atomenergie nicht mehr genutzt wird.

Es besteht die Gefahr von Interessenkonflikten im Untergrund, z.B. bei Geothermiebohrungen oder anderen Untersuchungen. Es bestehen weder rechtliche Grundlagen noch Konzepte, wie Zielkonflikte mit kommenden Generationen durch den Bau eines Atommülllagers im Untergrund geregelt werden können. Dazu bräuchte es eine «Raumplanung in der 3. Dimension», welche auch garantieren muss, dass der Lebensraum kommender Generationen nie gefährdet wird. Unsere Nachkommen sollen die gleichen Rechte und Sicherheiten über die Nutzung des Untergrundes haben, wie wir sie uns ganz selbstverständlich für unsere Generation herausnehmen.

  1. Wie soll ein Lager für eine Million Jahre dauerhaft verständlich markiert werden?
  2. Wie gedenkt das BFE und die Nagra eine Lösung zu finden?
Thema , Bereich
Eingegangen am 9. Februar 2012 Fragende Instanz SES | Bürgermeister Laufenburg (D)
Status beantwortet
Beantwortet am 29. November 2012 Beantwortet von , ,

Beantwortet von KNS

a)

Die Möglichkeiten zur Markierung von Endlagern wird seit 30 Jahren von verschiedenen Ländern untersucht. Keines dieser Länder und keines der Projekte, die bisher verfolgt wurden, geht von einer Markierungsdauer von 1 Mio. Jahre aus. Der generell akzeptierte Zeitraum für die Markierung liegt im Bereich von 10 000 Jahren (Grössenordnung der Zeit­spanne seit dem Umbruch der Jungsteinzeit). Dies kann unter anderem auch durch Überlegungen zur Abnahme der Radiotoxizität der eingelagerten Abfälle gestützt werden. So hat nach etwa 10 000 Jahren die Radiotoxizität des vorgesehen Tiefenlagers für hochaktive Abfälle bereits so weit abgenommen, dass sie vergleichbar ist mit jener von natürlich vorkommendem Uranoxid mit einer hohen Urankonzentration. Wären beispielsweise die Einlagerungstunnel des geplanten HAA-Lagers mit Uranerz aus der kanadischen Uranmine Cigar Lake mit einer Urankonzentration von 55% verfüllt, wäre die resultierende Radiotoxizität, dargestellt über den Radiotoxizitätsindex RTI, vergleichbar mit jener der Abfälle des HAA-Lagers nach rund 10 000 Jahren. Infolge des radioaktiven Zerfalls nimmt die Radiotoxizität mit fortschreitender Einlagerungsdauer weiter stetig ab.

Grundsätzlich gilt als akzeptiert, dass Warnungen gegenüber unbeabsichtigtem Eindringen (Human Intrusion) durch künftige Gesellschaften sinnvoll sind und umgesetzt werden sollen. Möglichkeiten sowie Art und Weise, wie dies umgesetzt werden könnte, werden im Rahmen der Expertengruppe „Preservation of Records, Knowledge and Memory across Generations“ der Atomenergieagentur NEA der OECD erörtert. Diverse Kernenergie nutzende Staaten untersuchen die Strategien der Markierung sowie die Anforderungen an die Archivierung von Daten und die Förderung einer Kultur der Erinnerung [Buser 2010]. Die Forschung für Projekte dieser Art steht aber noch am Anfang.

Die KNS begrüsst, wenn der Bund schon heute weitere Ressourcen für die Bearbeitung des Projektes „Erhaltung von Aufzeichnungen, Wissen und Erinnerung“ zur Verfügung stellt, um Anforderungen und Tragweite eines solchen Projektes besser zu definieren. Diese Forschungsarbeiten sollten in vertiefter Art und Weise fortgeführt werden, damit die Anforderungen an die Dokumentation und Archivierung bereits frühzeitig eingeleitet werden können. Die konkrete Ausgestaltung eines Programms zur Markierung wird im Rahmen der Detailplanung des Tiefenlagers festzulegen sein. Wer die Markierung schliesslich ausführen wird, wird erst während des Baus bzw. nach dem Verschluss des Tiefenlagers zu bestimmen sein.

Referenz:

Buser, M. (2010): Forschungsprogramm Radioaktive Abfälle, Literaturstudie zum Stand der Markierung von geologischen Tiefenlagern, erstellt im Auftrag des Bundesamts für Energie BFE.

Beantwortet von BFE

b)

Fragen der Langzeitarchivierung von Informationen und der Markierung von geologischen Tiefenlagern werden sowohl in der Schweiz als auch auf internationaler Ebene von Behörden und Fachexpertinnen und -experten diskutiert. Zum Thema «Markierung» sind in den letzten 40 Jahren Hunderte von wissenschaftlichen Studien und Fachartikeln veröffentlicht worden. Im Rahmen des Forschungsprogramms «Radioaktive Abfälle» veröffentlichte das BFE im Juli 2010 eine Literaturstudie, welche einen Überblick über den Stand von Wissenschaft und Technik bezüglich Markierung und Wissenserhalt im Zusammenhang mit geologischen Tiefenlagern gibt. Diese Literaturstudie ermöglicht es, die Fragen der Markierung grundsätzlich und systematisch auszuleuchten. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass eine ganzheitliche Betrachtung eines Konzepts unter Einbezug aller technischen und nicht-technischen Faktoren erfolgen muss. Die Erkenntnisse der Studie fliessen zurzeit in die internationale Diskussion ein. Das BFE beteiligt sich ausserdem an einem Projekt der OECD mit dem Titel «Preservation of Records, Knowledge and Memory Across Generations» («Erhalt von Aufzeichnungen, Wissen und Daten über verschiedene Generationen hinweg»).

Es ist unbestritten, dass Wissen zum Standort und zum Inhalt von geologischen Tiefenlagern für radioaktive Abfälle für künftige Generationen erhalten bleiben muss. Das KEG schreibt deshalb die Festlegung eines Schutzbereichs um das Lager vor, der im Grundbuch angemerkt und im Richt- bzw. Nutzungsplan eingetragen werden muss. Weiter sorgt der Bundesrat dafür, dass die Informationen über das Lager, die eingelagerten Abfälle und den Schutzbereich aufbewahrt werden und die Kenntnisse darüber erhalten bleiben. Er kann entsprechende Daten anderen Staaten oder internationalen Organisationen mitteilen. Zudem schreibt der Bundesrat gemäss KEG die dauerhafte Markierung vor. Die KEV verpflichtet deshalb den Eigentümer eines Tiefenlagers, eine Dokumentation zu erstellen, die für eine langfristige Sicherstellung der Kenntnisse über das geologische Tiefenlager geeignet ist. Die Dokumentation muss die Lage und Ausdehnung der Untertagebauten, das Inventar der eingelagerten radioaktiven Abfälle (in Art und Menge aufgeteilt nach den Lagerräumen), die Auslegung der technischen Sicherheitsbarrieren einschliesslich der Versiegelung der Zugänge sowie die Grundlagen und Ergebnisse der endgültigen Analyse der Langzeitsicherheit umfassen. Nach dem Verschluss des Lagers oder nach Ablauf der Überwachungsfrist muss die Dokumentation dem Bund übergeben werden. Was diese Dokumentation im Detail beinhaltet und in welcher Form sie zu erstellen ist, ist Inhalt der laufenden Forschungsprojekte, deren Ergebnisse spätestens dann vorliegen müssen, wenn Baugesuche für geologische Tiefenlager eingereicht werden.

Beantwortet von Nagra

b)

Das Kernenergiegesetz verlangt die dauerhafte Markierung der geologischen Tiefenlager [KEG, Art. 40, Abs. 7]. Der für die Dauer der Markierung betrachtete Zeitraum wird in den meisten wissenschaftlichen Studien auf 10 000 Jahre – was 300 Generationen entspricht – angesetzt [siehe u.a. G. Benford et al. 1991] und unterschiedlich begründet (weitere Literaturhinweise siehe die Referenzbibliographie des NEA/RK&M-Projektes und M. Buser (2010)). Die Kernenergieverordnung besagt, dass der Eigentümer des geologischen Tiefenlagers eine dauerhafte Markierung mit dessen Verschluss zu gewährleisten hat [KEV, Art. 69, Abs. 3c]. Der Verschluss eines geologischen Tiefenlagers wird erst in vielen Jahrzehnten aktuell. Laut der ENSI-Richtlinie hat der Eigentümer im Rahmen des Baugesuches für das geologische Tiefenlager ein Konzept für dessen dauerhafte Markierung vorzulegen [ENSI-G03, 2009]. Die Einreichung des Baugesuches für das HAA-Lager erfolgt gemäss dem Entsorgungsprogramm 2008 der Entsorgungspflichtigen frühestens ab 2030, für das SMA-Lager frühestens ab 2025; der Zeitpunkt der Implementierung der Markierung (gemäss KEG bei Verschluss des Lagers) erst nach 2115 (HAA-Lager) bzw. nach 2100 (SMA-Lager), vgl. NTB 08-01, Fig. 5-1a bzw. b.

Die Thematik einer dauerhaften Markierung der geologischen Tiefenlager wird international in der sogenannten Nuklearsemiotik wissenschaftlich untersucht. Die Nagra engagiert sich diesbezüglich beim Radioactive Waste Management Committee (RWMC) der Nuclear Energy Agency (NEA) der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD):  Sie bringt sich pro-aktiv beim internationalen Projekt Preservation of Records, Knowledge and Memory (RK&M) across generations ein und beteiligt sich. Eine erste Erkenntnis des laufenden Projektes ist, dass die dauerhafte Markierung des geologischen Tiefenlagers per se nur ein Instrument unter vielen ist, um den in der Kernenergieverordnung gesetzlich verankerten Informations- und Wissenstransfer an kommende Generationen nach dem Verschluss des geologischen Tiefenlagers zu gewährleisten [KEV Art. 27, 41 und 71]. Der dauerhafte Wissenserhalt über ein geologisches Tiefenlager kann verhindern, dass Menschen unbeabsichtigt in ein verschlossenes geologisches Tiefenlager eindringen (siehe Technisches Forum Entsorgungsnachweis (2005): Antwort der HSK und der Nagra auf die TFE-Frage 26). Zusätzlich zum Informations- und Wissenstransfer (inkl. Markierung) analysiert die Nagra die Bedeutung des unbeabsichtigten Anbohrens der geologischen Tiefenlager. Um die Konsequenzen eines solchen Anbohrens zu beschränken, verwendet die Nagra das Konzept der Kompartmentalisierung der Lagerkammern. Die Berechnungen mit der hypothetischen Annahme eines Anbohrens zeigen, dass die Konsequenzen damit wirkungsvoll beschränkt werden können (vgl. Entsorgungsnachweis, NTB 02-05).

Referenz:

Benford Gregory, Kirkwood Craig, Otway Harry, Pasqualetti Martin (1991): Ten Thousands Years of Solitude? On Inadvertent Intrusion into the Waste Isolation Pilot Project Repository, Los Alamos LA-12048-MS / DE 91 010299

Buser, Marcos (2010): Forschungsprogramm Radioaktive Abfälle, Literaturstudie zum Stand der Markierung von geologischen Tiefenlagern, erstellt im Auftrag des Bundesamts für Energie BFE.

ENSI-G03 (2009): Spezifische Auslegungsgrundsätze für geologische Tiefenlager und Anforderungen an den Sicherheitsnachweis, Richtlinie für die schweizerischen Kernanlagen

Nagra (2002): Project Opalinus Clay – Safety Report «Demonstration of Disposal feasibility for spent fuel, vitrified high-level waste and long-lived intermediate level waste (Entsorgungsnachweis)». Nagra Technical Report NTB 02-05. Nagra, Wettingen, Switzerland.

Nagra (2008): «Entsorgungsprogramm 2008 der Entsorgungspflichtigen». Nagra Technischer Bericht NTB 08-01. Nagra, Wettingen, Schweiz.

Technisches Forum Entsorgungsnachweis (2005): Thematisch gegliederte Antworten zu den im Technischen Forum diskutierten Fragen.

Preservation of Records, Knowledge and Memory (RK&M) Across Generations: A project of the OECD/NEA Radioactive Waste Management Committee (RWMC). Die aktuelle Referenzbibliographie ist im Internet unter http://www.oecd-nea.org/rwm/rkm/ zu finden.