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Frage 163: Energieverbrauch und Versorgungssicherheit

Da auch zur Entsorgung der radioaktiven Abfälle an verschiedenen Orten bereits vor, während und nach der Einlagerung in ein geologisches Tiefenlager Energie verbraucht wird, stellen sich angesichts der aktuellen Diskussionen zur Energieversorgungssicherheit verschiedene Fragen:

  1. Wieviel Energie (so genau als möglich aufgrund heutiger Kenntnisse) wird bei den verschiedenen Prozessen benötigt (Angaben in MWh)? Hierzu als Anhaltspunkt  verschiedenen Orte (Heisse Zelle, Oberflächenanlagen, Pilotlager, geologisches Tiefenlager) und Prozesse (Bau, Betrieb, Unterhalt, Entsorgung von Ausbruch- und Abbruchmaterialien, Transporte, Verpackung und Verfüllung, Verschluss, Kontrollen und Messungen), wo ein Energieeinsatz zu erwarten ist.
  2. Wie teilt sich der erwartete Energieverbrauch auf erneuerbare und nicht erneuerbare Energieträger auf? Dazu sollen für jeden in Teilfrage a) angeführten Prozess die Primär- und Endenergien samt CO2-Äquivalent des gesamten Energieverbrauchs dargestellt werden.
  3. Welche Ursachen sind für einen Energielieferunterbruch denkbar?
  4. Welche Sicherheitsvorkehrungen werden bei den jeweiligen Prozessen getroffen für den Fall, dass ein Unterbruch bei der Energieversorgung erfolgt? Wie kritisch wird der Unterbruch beim entsprechenden Prozess beurteilt? Gibt es eigene Versorgungssysteme (z.B. Notstromgruppen), welche bei einem Energielieferunterbruch zur Anwendung kommen?
Thema Bereich
Eingegangen am 28. September 2022 Fragende Instanz Unabhängiges Schweizer Begleitgremium Tiefenlager USBT
Status beantwortet
Beantwortet am 19. Mai 2023 Beantwortet von ,

Beantwortet von BFE

b) Aufteilung des Energiebedarfs

Der Bundesrat hat am 28. August 2019 als Reaktion auf den Sonderbericht des Weltklimarates über «1,5°C globale Erwärmung» (IPCC 2018) beschlossen, für die Schweiz bis ins Jahr 2050 eine ausgeglichene Treibhausgasbilanz anzustreben. Das bedeutet, die Schweiz soll ab 2050 nicht mehr Treibhausgase in die Atmosphäre ausstossen, als durch natürliche und technische Speicher aufgenommen werden («Netto-Null-Ziel»). Dieses Klimaziel stellt sicher, dass die Schweiz ihren Beitrag zur Begrenzung der weltweiten Klimaerwärmung auf unter 1,5 Grad leistet. Die Energieperspektiven 2050+ des BFE (2021) analysieren in einem Szenario eine Entwicklung des Energiesystems, welche mit dem langfristigen Klimaziel von Netto-Null Treibhausgasemissionen im Jahr 2050 kompatibel ist und gleichzeitig eine sichere Energieversorgung gewährleistet.

Die Bestimmung des Energieverbrauchs und die Energieversorgung eines geologischen Tiefenlagers ist Sache der Projektanten resp. Betreiber eines Tiefenlagers. Der Betreiber des Tiefenlagers wird grundsätzlich frei in der Entscheidung sein, welche der zum jeweiligen Zeitpunkt in Frage kommenden und zur Verfügung stehenden Energieträger eingesetzt werden. Das Angebot an Energieträgern wird von den technischen Möglichkeiten, der Marktsituation und allfälligen Steuerungsmassnahmen bestimmt. Für eine Kernanlage spielt zudem für sicherheitsrelevante Systeme die Verlässlichkeit der Energieträger eine Rolle.

Gemäss dem aktuellen Realisierungsplan eines Kombilagers für radioaktive Abfälle (vgl. Entsorgungsprogramm 2021 der Entsorgungspflichtigen (Nagra 2021a)) liegt der Zielhorizont 2050 für die Klimaziele im Bereich des beginnenden Einlagerungsbetriebs für schwach- und mittelaktive Abfälle beziehungsweise vor der Bauphase für die Lagerteile für die hochaktiven Abfälle. Nachfolgend wird dargestellt, wie gemäss den Energieperspektiven 2050+ das Energiesystem der Schweiz zu diesem Zeitpunkt generell aussehen könnte.

Die Szenarien der Energieperspektiven 2050+ (BFE 2021) zeigen, wie das Energiesystem der Schweiz umzubauen ist, um das Klimaziel von Netto-Null Treibhausgasemissionen bis 2050 zu erreichen und gleichzeitig eine sichere Energieversorgung zu gewährleisten. Im Zielbild (Fig. 163-1) sind die wichtigsten Eigenschaften dieses zukünftigen klimaneutralen Energiesystems dargestellt.

Figur 163-1: Zielbild Klimaneutrale Schweiz 2050 (Grafik: Dina Tschumi, Prognos AG)
Figur 163-1: Zielbild Klimaneutrale Schweiz 2050 (Grafik: Dina Tschumi, Prognos AG)

Das Energiesystem 2050 ist durch hohe Effizienz in allen Bereichen gekennzeichnet. Energieeffizienz ist eine zentrale Voraussetzung für die Zielerreichung, erleichtert den Umbau des Energiesystems und reduziert die Abhängigkeit vom Ausland.

Die energiebedingten Treibhausgasemissionen in den Sektoren Haushalte, Dienstleistungen, Industrie und Verkehr lassen sich bis 2050 fast vollständig vermeiden. Die Treibhausgasemissionen lassen sich durch heute bekannte Technologien senken. Restemissionen verbleiben hauptsächlich in der Landwirtschaft, bei der thermischen Verwertung von Abfällen und bei industriellen Prozessen. Diese machen den Einsatz von Carbon-Capture and Storage und Negativemissionstechnologien im In- und Ausland notwendig.

Fossile Energieträger werden im Jahr 2050 nur noch in Ausnahmefällen eingesetzt. Ein Beispiel dafür ist der nichtenergetische Verbrauch für die Herstellung von Produkten. Durch den Rückgang des Verbrauchs an Mineralölprodukten und Erdgas verringern sich die Energieimporte und die Auslandabhängigkeit nimmt ab. Der Anteil der Nettoimporte am Bruttoenergieverbrauch verringert sich von rund 75 % im Jahr 2019 auf unter 25 % im Jahr 2050.

Strom wird zum zentralen Energieträger für Wärme (Gebäude) und Mobilität. Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen sind effiziente und kostengünstige Alternativen zu konventionellen Verbrennungsmotoren und Heizsystemen. Wärmepumpen werden ergänzt durch Nah- und Fernwärmenetze, bei welchen eine Vielzahl von Wärmequellen genutzt werden können. Der Strombedarf wird steigen. Der Anstieg in der Schweiz kann jedoch durch Energieeffizienzmassnahmen gedämpft werden.

Die inländischen Potenziale für Biomasse, erneuerbare Energien zur Stromerzeugung, Umweltwärmequellen und Fernwärme müssen umfassend ausgenutzt werden. Zudem ist es notwendig, gewisse Mengen an nachhaltig produzierten Biomassen zu importieren.

Strombasierte Energieträger (synthetische flüssige oder gasförmige Brenn- und Treibstoffe sowie Wasserstoff) sind zur Zielerreichung notwendig, aber aus Energie- und Kosteneffizienzgründen nur in jenen Bereichen einzusetzen, in denen es wenige Alternativen gibt. Dazu gehören insbesondere der Schwerverkehr und der internationale Flugverkehr. Ein Teil des benötigten Wasserstoffs kann in der Schweiz hergestellt werden. Die Erzeugung erfolgt bei Laufwasserkraftwerken, welche in gewissen Zeiten konkurrenzfähig Wasserstoff produzieren können. Strombasierte Treibstoffe werden vollständig importiert. Die Herstellung erfolgt aufgrund hoher Potenziale, Kostenvorteilen und des Bedarfs an hohen Volllaststunden im Ausland.

Die Stromerzeugung der Schweiz kann bis zum Jahr 2050 praktisch vollständig auf Wasserkraftwerke und erneuerbare Energien umgestellt werden. Voraussetzung dafür ist ein umfassender Ausbau erneuerbarer Energien, insbesondere Photovoltaik, aber auch Wind und Geothermie. Wasserkraftwerke, zukünftige Flexibilität im Stromverbrauch und Batteriespeicher leisten wesentliche Beiträge zur Integration grosser Mengen erneuerbarer Energien im Stromsystem der Schweiz. Zentrale Voraussetzungen dafür sind die Realisierung der Flexibilitätspotenziale im Stromverbrauch (z. B. Elektromobilität), der Erhalt des Bestandes und der Zubau von flexiblen Wasserkraftwerken, dezentrale Batteriespeicher in Kombination mit Photovoltaik-Anlagen sowie die Bereitstellung der notwendigen Netzinfrastruktur. Weiter braucht es eine gute internationale Einbindung des Stromsystems der Schweiz.

c) Energielieferunterbruch

Die Ergebnisse der Energieperspektiven 2050+ (BFE 2021) zeigen, dass ein klimaneutrales Energiesystem bis 2050 möglich ist welches gleichzeitig eine sichere Energieversorgung gewährleisten kann. Um Energiemangellagen im Strombereich zu verhindern ist es wichtig, dass genügend Produktionskapazitäten im Inland aufgebaut werden und die Netzinfrastruktur entsprechend weiterentwickelt und verfügbar ist. Zudem ist eine gute Einbindung der Schweiz ins europäische Stromsystem wichtig.

Beantwortet von Nagra

a) Energieeinsatz

Das Kernenergiegesetz gibt vor, dass das geologische Tiefenlager (gTL) über verschiedene Bewilligungsschritte hin realisiert und stufengerecht präzisiert wird. In der aktuellen Projektphase steht die Standortwahl sowie verschiedene Nachweise zur Erreichung der Rahmenbewilligung im Fokus, dazu wird eine mögliche Anlage projektiert und in den Grundzügen zur Festlegung beantragt. Der Energiebedarf ist z. B. auf Basis von heutigen Annahmen in Kostenschätzungen eingepreist, aber noch nicht so detailliert aufgeschlüsselt, wie von der Frage erwartet. Der tatsächliche Energiebedarf hängt massgeblich von der Ausgestaltung des gTL ab, die in den kommenden Planungsphasen konkretisiert wird (siehe z. B. RD&D Plan (Nagra 2021b)).

Grundsätzlich ist die Minimierung des Stromverbrauchs während Bau, Betrieb und Verschluss des gTL ein wichtiger Bestandteil des Planungsprozesses und orientiert sich an dem jeweils vorliegenden Stand von Wissenschaft und Technik. Es wird von einem Energiebedarf ausgegangen, der mit den heute schon vorhandenen Anschlussleistungen in der jeweiligen Region realisiert werden kann. So wurde bereits im NTB 02-02 (Kap. 3.4.2.) (Nagra 2002) die benötigte Leistung für den Betrieb der unter Tage installierten Einrichtungen auf ca. 5’000 kVA abgeschätzt. Die zugrundeliegende Grobplanung ging jedoch von anderen Voraussetzungen aus als das Projekt, welches als Beispiel für die Nachweisführung dem Rahmenbewilligungsgesuch (RGB) zugrunde gelegt wird. Zum Beispiel umfasste das damalige Konzept eine Zahnradbahn. Es werden in den kommenden Spezifikationen zudem Synergien zu kommunalen und regionalen Versorgungswerken betrachtet. Diese stufengerechte Planung ermöglicht, für kommende Bewilligungsschritte auf weitere Entwicklungen einzugehen und dannzumalig optimale und abgestimmte Lösungen zu erarbeiten.

b) Aufteilung des Energiebedarfs

Das aktuelle Projekt geologisches Tiefenlager enthält keine spezifischen Anforderungen an die Zusammensetzung des Energiemixes. Die Nagra geht davon aus, Abnehmerin des dannzumaligen lokalen Strommixes zu sein (siehe z. B. NTB 13-01, Kap 3.6 (Nagra 2013)). Dank des stufengerechten Bewilligungsverfahrens sind allfällige Präzisierungen bis zur entsprechenden Festlegung möglich.

Wie sich ein möglicher Strommix zusammensetzen könnte, zeigen die Szenarien der Energieperspektiven 2050+ des Bundes (BFE 2021).

c) Energielieferunterbruch

Das BFE hat im Bericht «Risikovorsorge der Schweiz für Strom» (BFE 2022) skizziert, welche zukünftigen Entwicklungen (zusätzlich zu technischen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Krisen, die schon heute zu Energiemangel führen können) relevant für eine konstante Energieversorgung sind.

Die Nagra geht nicht von Ursachen für einen Energielieferunterbruch aus, die sich spezifisch und nur auf das Tiefenlager beziehen würden. Szenarien, die zu einer Unterbrechung der Stromlieferketten führen könnten, gelten generell für die jeweilige Region.

d) Sicherheitsvorkehrungen

Sicherheit ist in Kernanlagen oberstes Gebot. Das geologische Tiefenlager wird analog zu den Zwischenlagern so geplant und betrieben, dass die Anlagen bei einem Energie­unterbruch jederzeit passiv sicher sind und die grundlegenden Schutzziele auch bei Störfällen eingehalten werden. Im Gegensatz zu Kernkraftwerken werden keine aktiven Sicherheitssysteme benötigt, die für die Einhaltung der Schutzziele «Kontrolle der Kritikalität» und «Kühlung der Kernmaterialien und der radioaktiven Abfälle» erforderlich sind. Das heisst, bei einem Energieunterbruch im gTL kann der Betrieb jederzeit kontrolliert unterbrochen oder gestoppt werden. Damit wird der Betrieb in einen inhärent sicheren Zustand überführt und in diesem gehalten, um eine Beeinträchtigung des Personals sowie der sicherheitsrelevanten Systeme, Strukturen und Komponenten auszuschliessen. Damit wird das Auftreten von Fehlhandlungen bzw. Fehlfunktionen vermieden und die Ereignisbewältigung unterstützt.

Insbesondere Prozesse zur Handhabung oder zum Transport von radioaktiven Abfällen oder der Endlagerbehälter (ELB) können kontrolliert beendet oder unterbrochen werden. Der sichere Umgang mit radioaktiven Abfällen ist auch bei einem Ausfall der Stromversorgung gewährleistet. Beispiele sind:

  • Ein Ausfall der Stromversorgung führt aufgrund der ausfallsicheren Auslegung nicht zu einer Belastung der zum Zeitpunkt des Ereignisses gehandhabten radioaktiven Abfälle bzw. ELB. So wird zum Beispiel ein Absturz eines ELB während der Handhabung am Kran infolge des Ausfalls der Stromversorgung durch die Auslegung des (Kran)Systems ausgeschlossen.
  • Aktuell sind für den Transport von ELB innerhalb des gTL Transportmittel mit systemeigener Energieversorgung (Batterie) vorgesehen, sodass diese bei einem Ausfall nicht betroffen sind und kontrolliert gestoppt und in einen inhärent sicheren Zustand gehalten werden können.

Sicherheitsrelevante Systeme wie Brandmeldeanlagen, Strahlenschutzmesseinrichtungen, Sicherheitsbeleuchtung sowie Warn- und Meldesysteme werden bei einem Ausfall durch eine jeweils systemeigene, batteriegepufferte Stromversorgung weiterhin mit elektrischer Energie versorgt, um deren Funktion auch beim Versagen der Stromversorgung aufrecht zu halten. Brandschutzklappen, -türen und -tore schliessen zudem aufgrund ihrer ausfallsicheren Auslegung so, dass ein Abschluss von Brandabschnitten gewährleistet wird.

Zur Aufrechterhaltung der Personensicherheit im Bau und Betrieb besteht ein Flucht- und Rettungskonzept. Bei Störfällen sind die Anforderungen an das Lüftungskonzept so gestellt, dass sich das Personal jederzeit in mit Frischluft versorgten, sicheren Bereichen einfinden kann. Diese werden auch bei Stromausfall über die Dauer der Selbst- oder Fremdrettung resp. der Ereignisbewältigung zuverlässig und bedarfsgerecht durch Frischluft versorgt.

Die Analyse von Ereignissen (Verlust der Energieversorgung, bspw. infolge Energielieferunterbruch) werden behördlich gefordert und sind im Rahmen des Sicherheitsnachweises einer Kernanlage zu bewerten. Eine detaillierte Sicherheitsanalyse zur Gewährleistung der nuklearen und betrieblichen Sicherheit erfolgt mit dem Baugesuch, welches im Gegensatz zum RGB nicht mehr auf einem beispielhaften Projekt basiert.

Referenzen

BFE (2021): Energieperspektiven 2050+. Technischer Bericht. Gesamtdokumentation der Arbeiten. Bundesamt für Energie BFE. 501 Seiten.

BFE (2022): Risikovorsorge der Schweiz für Strom. Bundesamt für Energie BFE. 35 Seiten.

IPCC (2018): Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger. 1,5 °C Globale Erwärmung. Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), World Meteorological Organization, Genf, Schweiz, 32 pp. https://www.ipcc.ch/site/assets/uploads/2020/07/SR1.5-SPM_de_barrierefrei.pdf

Nagra (2002): Projekt Opalinuston: Konzept für die Anlage und den Betrieb eines geologischen Tiefenlagers: Entsorgungsnachweis für abgebrannte Brennelemente, verglaste hochaktive sowie langlebige mittelaktive Abfälle. Nagra Technischer Bericht NTB 02-02.

Nagra (2013): Standortunabhängige Betrachtungen zur Sicherheit und zum Schutz des Grundwassers: Grundlagen zur Beurteilung der grundsätzlichen Bewilligungsfähigkeit einer Oberflächenanlage für ein geologisches Tiefenlager. Nagra Technischer Bericht NTB 13-01.

Nagra (2021a): Entsorgungsprogramm 2021 der Entsorgungspflichtigen. Nagra Technischer Bericht 21-01.

Nagra (2021b): The Nagra Research, Development and Demonstration (RD&D) Plan for the Disposal of Radioactive Waste in Switzerland. Nagra Technical Report NTB 21-02.