Frage 46: Überdeckung des Tiefenlagers – bautechnische Machbarkeit
Entsprechend den Gutachten der KNE und der ESchT zur Etappe 1 des SGT lässt sich die bautechnische Machbarkeit eines geologischen Tiefenlagers nur bis maximal 650 m unter Terrain nachweisen.
Diese Feststellung beruht auf Modellrechnungen und Folgerungen des Gutachtens Amann, F. & Löw, S., 2009 (ENSI 33/065).
Demgegenüber fordert die KNS im Bericht-Nr. 23/219, S 43) ein Lagerkonzept für grössere Tiefenlagen (bis 900 m unter Terrain) zu entwickeln. Der Schutz vor allfälligen künftigen glazialen Tiefenerosionen bedingt gebietsweise eine Standortsuche in Tiefenlagen von mehr als 600 m unter Terrain.
Die Aussagen über die bautechnischen Verhältnisse im Opalinuston basieren auf unterschiedlichen geotechnischen Kennwerten, nämlich teilweise auf solchen, wie sie für die sandige Fazies und zum Teil auf jenen, wie sie für die tonige Fazies gelten. Das heisst, es fehlt oft an einer konsequenten, dem Faziestyp entsprechenden Anwendung geotechnischer Berechnungen, respektive den dazu verwendeten Kenngrössen. Daraus entsteht die Gefahr, dass Aussagen gemacht werden, die nur für einen Faziestyp zutreffend sind, fälschlicherweise dann aber auch für den anderen verwendet werden.
Diese Gegebenheiten führen zu den folgenden Fragen:
Wie wird das ENSI die Beurteilungen zur maximalen Tiefenlage angehen angesichts der entgegengesetzt stehenden bautechnischen und sicherheitstechnischen Standortanforderungen?
Inwieweit beabsichtigt das ENSI zur Beurteilung des bautechnischen Verhaltens des Opalinustons, die Eigenschaften der beiden Faziestypen konsequent auseinander zu halten?
Inwieweit führt die gezeigte Problematik zu Änderungen des Lagerkonzepts?
Die Frage der maximalen Tiefenlage eines HAA-Lagers haben das ENSI und ihre Experten (KNE und Ingenieurgeologie ETH Zürich) ausführlich überprüft und in ihren Expertenberichten beziehungsweise im Gutachten dokumentiert (Amann F., Löw S. (2009); ENSI 33/070; KNE (2010)). Die wesentliche Schlussfolgerung im Bericht Amann & Löw 2009 ist, dass mit eingeschränkten Sicherungsmitteln (Anker, Kopfschutz) die bautechnische Machbarkeit der HAA-Lagerstollen im intakten Opalinuston nur bis in eine Tiefe von 650 m unter Terrain erbracht ist. Für Tiefenlagen > 650 m bis 900 m ist ein vollflächiger Ausbau (z.B. Spritzbeton, Tübbings) notwendig. Für das HAA-Lagerkonzept hat die Nagra ein entsprechendes neues Ausbaukonzept vorgelegt (NAB 09-29). Das ENSI und die KNE beurteilen Tiefenlagen von bis zu maximal 900 m als bautechnisch machbar und sinnvoll (vgl. Fachsitzung des Technischen Forums Sicherheit vom 4.8.2010). Die sicherheitstechnischen Anforderungen bezüglich Schutzes vor flächenhafter Erosion, Dekompaktion und glazialer Tiefenerosion erfordern nach Ansicht des ENSI und der KNE keine Tiefenlagen grösser 900 m. Es bestehen daher keine entgegen gesetzten Anforderungen an die Tiefenlage. Das ENSI und die KNE möchten aber darauf hinweisen, dass in Etappe 2 SGT für Tiefen > 650 m für HAA-Lagerstollen sowohl bautechnische wie sicherheitstechnische Nachweise der neuen Ausbaukonzepte vorzulegen sind.
b)
Zwischen den felsmechanischen Kennwerten des Opalinustons im Mont Terri (vornehmlich aus der „Tonigen Fazies“) und den felsmechanischen Kennwerten ermittelt an Bohrkernen der Bohrung Benken bestehen signifikante Unterschiede. Als Beispiel sei die einaxiale Druckfestigkeit senkrecht zur Schieferung genannt, welche im Mont Terri bei rund 11.6 ±3.9 MPa und in der Bohrung Benken bei 30.3 ±6.6 MPa liegt. Letztere Kennwerte wurden für die bautechnische Beurteilung der HAA-Lagerstollen in den potentiellen Standortgebieten Benken, Nördlich Lägern und Jura Ost1 herangezogen.
Das Verständnis der Unterschiede zwischen den felsmechanischen Kennwerten von Benken und Mont Terri ist zentral für die Beantwortung der Frage b und die Begründung der in Etappe 1 SGT verwendeten Kennwerte. Darum wird im Weiteren auf die wesentlichen Aspekte eingegangen, welche die Festigkeit des intakten Opalinustons beeinflussen.
Wesentliche Einflussfaktoren für die felsmechanischen Eigenschaften
Die felsmechanischen Eigenschaften von intaktem Opalinuston (das heisst nicht geklüftet oder tektonisch überprägt) wird im Wesentlichen von folgenden Faktoren beeinflusst:
Wassergehalt
Diagenetischer Zement
Tongehalt und Anordnung der Tonpartikel (z.B. Grad der Ansiotropie)
Gehalt und Verteilung von sedimentären/diagenetischen Heterogenitäten (Quarzkörner, Bioklasten, Silt/Sandsteinlinsen, Sideritkonkretionen etc.)
Zusätzlich sind für die felsmechanischen Gebirgseigenschaften (diese werden hier nicht weiter behandelt) folgende Einflussfaktoren zu nennen:
Klüftigkeit (Anzahl der Kluftfamilien, Abstand der Trennflächen zueinander)
Geometrie, Durchtrennungsgrad und mechanische Eigenschaften der Trennflächen
Basierend auf verschiedenen wissenschaftlichen Untersuchungen lässt sich für intakten Opalinuston belegen, dass besonders der Wassergehalt, der ebenso wie die Porosität und die Gesteinsdichte im engen Zusammenhang mit dem Konsolidationsgrad (Belastungsgeschichte) steht, als wesentlichster Faktor der Festigkeit zu betrachten ist (Figur 46-1).
Sedimentologische Aspekte
In der Bohrung Benken (Abschnitt Opalinuston) konnten durch detaillierte sedimentlogische und mineralogische Untersuchungen nachfolgende unterscheidbare Bereiche ausgeschieden werden (in Klammern ist vermerkt, welche Institution felsmechanische und mineralogische Untersuchungen vorgenommen hat; die unterstrichene Einheit liegt in etwa in der Mitte des Opalinustons):
Tonstein mit Sandsteinlagen und Sideritkonkretionen
Tonstein mit zahlreichen Sandsteinlagen (Laborversuche MESY)
Tonstein mit wenig Sandsteinlagen (Laborversuche EPFL, MESY)
Tonstein mit Sideritkonkretionen (Laborversuche MESY)
Tonstein (Laborversuche MESY)
Eine regionaler Vergleich unter zur Hilfenahme der sogenannten „Dachbankzyklen“ zeigt, dass der Opalinuston in der Bohrung Weiach (Standort Nördlich Lägern) und der Bohrung Riniken (Standort Jura Ost) ähnlich wie in der Bohrung Benken ausgebildet ist. Allerdings ist in Weiach der Quarz- und Karbonatgehalt etwas tiefer als in Benken. Generell ist festzustellen, dass die mineralogische Zusammensetzung über weite Distanzen extrapolierbar ist, in der quantitativen Zusammensetzung jedoch Unterschiede feststellbar sind. Der Tongehalt nimmt beispielsweise gegen Westen tendenziell zu, der Quarz- und Karbonatgehalt hingegen ab (Figur 46-2).
Die sogenannte „sandig-kalkige Fazies“ wie sie im Mont Terri vorzufinden ist, ist in den Nordschweizer Bohrungen nicht zu finden. Dies steht im Zusammenhang mit differentiellen Hebungsraten des ehemaligen Ablagerungsraum (Becken), was zu einer ausgeprägten Morphologie und zu abgetrennten Faziesräumen führte. Dennoch entspricht die „tonige Fazies“ im Mont Terri mineralogisch in etwa den drei unteren, tonreicheren Gliedern der Bohrung Benken (Figur 46-2). Insgesamt ist der Tonanteil im Mont Terri jedoch deutlich grösser.
Versenkungsgeschichte
Bei der Beurteilung der felsmechanischen Kenngrössen des Opalinustons ist besonders der Wassergehalt zu nennen (Figur 46-1). Regionale Unterschiede im Wassergehalt stehen im Zusammenhang mit der Porosität und Dichte, welche signifikant von der ehemalige Versenkung oder Vorbelastung (Konsolidationsgrad) des Tongesteins abhängen. Innerhalb der Schweiz lässt sich entlang eines E-W-Schnittes (Figur 46-3) beginnend in Herdern (Osten) zum Mont Terri (Westen) eine abnehmende maximale Versenkungstiefe des Opalinustons feststellen:
rund 2850 m Herdern
rund 1700 m Benken
rund 1650 m Weiach
rund 1550 m Riniken
rund 1000 m Mont Terri
Die maximale Versenkungstiefe von 2150 m, welche in Schafisheim ermittelt wurde, zeigt die generelle Zunahme der Versenkungstiefe des Opalinustons gegen Süden infolge der zunehmenden Auflagerung durch Molasse. Als Folge der unterschiedlichen maximalen Versenkungstiefe nimmt die Porosität von Osten nach Westen deutlich zu (Bodenseegebiet rund 4%; Zürich Nordost2 rund 7-12 %; Mont Terri 14-18 %), während die Gesteinsdichte und die Durchschallungsgeschwindigkeiten abnehmen.
Als Wesentlich zu betrachten ist die vergleichbare maximale Versenkungstiefe in Weiach, Riniken und Benken, die auf eine ähnliche Porosität, Gesteinsdichte und Wassergehalt schliessen lässt. Da sich die mineralogische Zusammensetzung zwischen den Bohrungen sowohl qualitativ als auch quantitativ wenig verändert, ist auch bei den felsmechanischen Kenngrössen von nur geringen Unterschieden auszugehen.
Fazit (Antwort)
Für den momentanen Projektstand (Etappe 1 SGT) erachten ENSI und KNE die Übertragung der felsmechanischen Kennwerte des Opalinustons (intakter Fels) von Benken für die bautechnischen Beurteilung der potentiellen HAA-Opalinuston Standortgebiete als plausibel (vergleichbare Vorbelastung). Die vom Felslabor Mont Terri („Tonige Fazies Opalinuston“) ermittelten Kennwerte erachten ENSI & KNE als nicht übertragbar. Eine regionale Variabilität der Kennwerte des intakten Opalinustons kann aufgrund des in der Bohrung Weiach festgestellten tieferen Quarz- und Karbonatgehaltes nicht ausgeschlossen werden und erfordert weiterführende, lokale Untersuchungen (kommende Phasen).
c)
Die aufgeworfenen Fragen zur Bautechnik in Etappe 1 SGT und die Überprüfung durch das ENSI und seine Experten (ETH, KNE) haben bereits zu einer Änderung beziehungsweise Ergänzung des HAA-Lagerkonzepts geführt (Ausbau der HAA-Lagerstollen im Opalinuston für Tiefen > 650 m mit vollflächige Stützmitteln).
Die Realisierung eines geologischen Tiefenlagers ist ein schrittweiser Prozess, der sich über mehrere Jahrzehnte erstreckt (drei Etappen SGT, Rahmenbewilligungsverfahren, Bau des Felslabors zur grossräumigen Charakterisierung des Wirtgesteins und Bestätigung der Gesteinseigenschaften → Baubewilligungsverfahren, Betriebsbewilligungsverfahren, etc.). Bei jedem Schritt sind die Lagerkonzepte nach Stand von Wissenschaft und Technik zu vertiefen und weiter zu konkretisieren (siehe KEG/KEV, Richtlinie ENSI-G03). Gemäss den behördlichen Vorgaben in der Richtlinie ENSI-G03 sind bei jedem Schritt der Realisierung für jede sicherheitsrelevante Entscheidung verschiedene Alternativen und ihre Bedeutung für die Langzeitsicherheit aufzuzeigen. Dabei ist ein für die Sicherheit günstiger Entscheid zu treffen. Dieses Optimierungsverfahren ist vom Projektanten zu dokumentieren. Mit diesem Vorgehen wird sichergestellt, dass die Sicherheit in diesem langen schrittweisen Prozess der Lagerrealisierung stets oberste Priorität hat und dem jeweiligen Stand von Wissenschaft und Technik Rechnung trägt.
09-29: Sachplan geologische Tiefenlager, Etappe 1: Fragen des ENSI und seiner Experten und zugehörige Antworten der Nagra, Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, Nagra Arbeitsbericht, Wettingen, 2010.
NTB 02-03: Projekt Opalinuston: Synthese der geowissenschaftlichen Untersuchungsergebnisse – Entsorgungsnachweis für abgebrannte Brennelemente; verglaste hochaktive sowie langlebige mittelaktive Abfälle, Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, Nagra Technischer Bericht, Wettingen, 2002.
1 Auf Wunsch der Standortregion wurde das Standortgebiet Bözberg in Jura Ost umbenannt.
2 Auf Wunsch der Standortregion wurde das Standortgebiet Zürcher Weinland in Zürich Nordost umbenannt.