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Strahlenschutzinspektor Rainer Ahlfänger im Interview: «Es braucht niemand zu erschrecken, wenn das ENSI kommt»

Um die 45 Inspektionen führt die Sektion Radiologischer Arbeitsschutz des ENSI jährlich in den Schweizer Kernanlagen durch. Mit ihrer Präsenz trägt sie dort massgeblich zur Sicherheit des operationellen Arbeitsschutzes bei. Bei jeder Inspektion ist zudem auch die konventionelle Arbeitssicherheit ein Thema. Hierbei habe ein Kulturwandel stattgefunden, erzählt Strahlenschutzinspektor Rainer Ahlfänger im Interview.

Rainer Ahlfänger, Du blickst auf rund 250 Inspektionen zurück, die Du für das ENSI geleistet hast. Tust Du dabei immer wieder dasselbe?

Im Gegenteil, jede Inspektion ist anders, weil wir es mit vielen unterschiedlichen Menschen und ihren kreativen Handlungen zu tun haben. Im Fokus steht bei mir meistens der operationelle Strahlenschutz sowie der Zustand und das Verhalten der Anlage aus Sicht des Strahlenschutzes. Weiter machen wir Wischtests und Dosisleistungsmessungen. Zusätzlich schaue ich auf den Arbeitsschutz. Hierfür arbeitet das ENSI auch mit der Suva zusammen.

Wie beurteilst Du die Sicherheitsstandards im Bereich radiologischer Arbeitsschutz in den Schweizer Kernanlagen?

Die Standards sind sehr hoch. Das ist erfreulich. Es wird viel Wert auf die Ausbildung der Strahlenschutzfachkräfte, -techniker und -Sachverständigen gelegt. Das merkt man an der Qualität der Arbeit, die sie leisten. Sie sind innerhalb der Werke für die radiologische Arbeitssicherheit zuständig. Wir Inspektoren schauen darauf, dass sich alle Mitarbeiter in den Kernanlagen an das Regelwerk halten, und das tun sie zu 99,9 % auch. In der Schweiz wird zudem sehr auf Sauberkeit in den Anlagen geachtet.

Wenn sich die Werke so gut an die Vorgaben halten, braucht es dann überhaupt so viele Inspektionen?

Doch, die braucht es. Weil es eben auch wichtig ist, dass die Menschen in den Werken spüren, dass wir da sind. Ich glaube, die aktuellen hohen Standards haben wir gerade deshalb erreicht, weil wir so häufig inspizieren, wie wir es tun. Auch in Zeiten, in denen der persönliche Kontakt eingeschränkt war, haben wir unser geplantes Programm durchgezogen. Aber natürlich braucht es das richtige Mass. Zu viele Inspektionen wären kontraproduktiv. Denn wenn wir inspizieren, greifen wir in die Abläufe eines Werks ein, ziehen Arbeitszeit und Arbeitskraft der Leute ab.

Pro Anlage machen wir jährlich mindestens eine unangekündigte Inspektion.

Kommt es vor, dass Du vor Ort Personen zurechtweisen musst, wenn es um den radiologischen Arbeitsschutz geht?

Ja, hin und wieder passiert es, dass beispielsweise jemand in der falschen Schutzkleidung in der Kontaminationszone ist. Dann mache ich diese Person sofort darauf aufmerksam und nehme sie aus der Situation heraus.

Wie bereitest du dich auf eine Inspektion vor?

Mit der ENSI-Inspektionsberichtsvorlage. Dabei überlegen wir uns zu zweit zuerst die Ziele, die wir für die Inspektion setzen wollen. In der Regel sind dies der operationelle Strahlenschutz sowie der Zustand und das Verhalten der Anlage aus Sicht des Strahlenschutzes. Dann geht es im Rahmen der Inspektion um einen Vergleich von Soll- und Istzustand. Manchmal sind auch Freigaben ein Thema, dann bereitet man sich gezielt auf eine Überprüfung der massgeblichen Vorgaben vor.

Rund vier bis sechs Wochen vor den Inspektionen während den Jahres-Revisionen findet ein Fachgespräch zum Strahlenschutz mit dem jeweiligen Betreiber statt, die Inspektionsthemen und -termine werden festgelegt und in einem Protokoll dokumentiert. Während der übrigen Zeit des Jahres werden die Inspektionen per Brief angekündigt. Bei unangekündigten Inspektionen entfällt dieser Teil. Pro Anlage machen wir jährlich mindestens eine unangekündigte Inspektion.

Wie viele Inspektionen machst Du pro Jahr?

Ich gehe ungefähr 10-mal jährlich auf Inspektion. Die meisten davon finden während der Jahresrevision eines Werkes statt. Da sind wir einmal wöchentlich präsent. In der Regel gehen wir zu zweit zur Inspektion – einer leitet und der andere unterstützt. Nebst dem radiologischen Arbeitsschutz schaue ich mir immer auch die konventionelle Arbeitssicherheit vor Ort an. Ich habe hierfür eine Ausbildung als Arbeitssicherheitsassistent und führe manchmal auch gemeinsame Inspektionen mit der Suva durch.

Welche Hilfsmittel nimmst du mit?

Ich nehme eigene Messgeräte mit, eine Kamera zur Dokumentation des Istzustands, ein kleines Notizbuch und einen Kugelschreiber.

Wie empfindest Du die Atmosphäre während einer Inspektion?

Es ist eine sehr professionelle Begegnung zwischen ENSI-Inspektoren und den Betreibern, die geprägt ist von gegenseitigem Verständnis der Aufgaben und fachlich hohem Niveau. Es braucht niemand zu erschrecken, wenn das ENSI kommt. Die Werke wissen, dass das ENSI neutral und professionell mit einer ergebnisoffenen Haltung unterwegs ist.

Einer der grössten Erfolge unserer Inspektionen ist, dass die in den Werken tätigen Menschen besser aufeinander aufpassen als früher.

Was hat sich verändert in den 20 Jahren, in denen Du Inspektionen machst?

Heute sind wir formalisierter. Es ist klarer vorgegeben, wie der Ablauf einer Planung und die Durchführung einer Inspektion zu sein hat. Zudem gibt es viel mehr Tools für die Beurteilung einer Inspektion. Wir haben das Regelwerk verdichtet und die rechtlichen Grundlagen sind detaillierter geworden. Die Soll-Zustände sind zudem ausformulierter und präziser geworden.

Welche Entwicklung beobachtest Du auf Seiten der Werke?

Einer der grössten Erfolge unserer Inspektionen ist, dass die in den Werken tätigen Menschen besser aufeinander aufpassen als früher. So wird zum Beispiel die persönliche Schutzausrüstung ganz selbstverständlich getragen und wenn etwas fehlt, erinnern sich die Mitarbeitenden gegenseitig daran. Die Betreiber haben viel in die Ausbildung der Leute im konventionellen Arbeitsschutz investiert, als sie gemerkt haben, dass wir vermehrt auch darauf schauen. Vor 15 Jahren gab es dies so noch nicht. Man sieht diese Veränderung auch beim Strahlenschutz, dass beispielsweise der eine zum andern sagt: Hier solltest Du Dich nicht zu lange aufhalten, die Strahlung ist hoch. Dieser Kulturwandel, der stattgefunden hat, freut mich persönlich sehr.

Binnen eines Jahres gehst Du in Pension – wie transferierst Du Dein grosses Know-how?

Dieses Jahr werde ich den Schwerpunkt darauf legen, dass ich unsere neuen Mitarbeitenden mitnehmen und ins Inspektionswesen einführen werde. Um auch den komplexen Bereich der Wasserchemie abdecken zu können, habe ich bereits seit einigen Jahren einen Tandemstellen-Partner, der mich dann Ende Jahr ganz ersetzen wird.

Welchen Tipp gibst Du jüngeren Kollegen, die als Inspektoren nachrücken?

Geht so oft wie möglich inspizieren. Begleitet eine Kollegin oder einen Kollegen auf Inspektion und lernt voneinander.

Zu guter Letzt: Hast Du schon Pläne für Deine Pension?

Noch keine konkreten. Meine Frau und ich überlegen uns eine grössere Reise nach Japan zu machen. Daneben gibt es im Haus und im Garten immer etwas zu tun. Langweilig wird es mir sicher nicht!

Rainer Ahlfänger (63) ist Chemiker und seit 23 Jahren als Fachspezialist Radiologischer Arbeitsschutz im ENSI tätig. Dort ist er thematisch in den Bereichen Operationeller Strahlenschutz und Wasserchemie tätig. In seiner langjährigen Berufskarriere hat Rainer Ahlfänger rund 250 Inspektionen geleistet.

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