Rückholbarkeit und Lagerstollenkonzept: Gemäss Art.37.1.b. der Schweizer KEG ist Voraussetzung für die Betriebsbewilligung eines geologischen Tiefenlagers, dass „die Rückholung der radioaktiven Abfälle bis zu einem allfälligen Verschluss ohne grossen Aufwand möglich ist“.
Wie sollen in der über Jahrzehnte dauernden Einlagerungsphase nach dem von der NAGRA gewählten horizontalen Lagerprinzip Behälter mit hochaktiven Abfällen, die als defekt erkannt werden, zurückgeholt werden, wenn diese zuerst eingelagert worden sind und der sie umhüllende Bentonit durch Feuchtigkeitsaufnahme (wunschgemäss) aufgequollen und so zu einem völligen Verschluss geführt hat? (Machbarkeit)
Wie erfolgt bei der von der NAGRA gewählten horizontalen Einlagerung in Reihe hintereinander die Überwachung der einzelnen Behälter auf eventuell austretende gasförmige, flüssige und radioaktive Stoffe? (Überwachung)
Warum wurde nicht das schwedische Prinzip der vertikalen Einlagerung der Abfallbehälter gewählt, das eine sichere Überwachung und eine einfachere Rückholung möglicher defekter Behälter gewährleisten würde? (Einlagerungskonzept)
Die Fragen 76 und 80 sprechen gemeinsam das Einlagerungskonzept und die Rückholbarkeit der radioaktiven Abfälle an, sie werden deshalb an dieser Stelle auch gemeinsam beantwortet.
Einleitend hält die HSK fest, dass die Lagerauslegung und Wahl des Einlagerungskonzeptes der radioaktiven Abfälle grundsätzlich eine Aufgabe des Projektanten ist. Die Frage der Konzeptwahl ist deshalb eigentlich an die Nagra zu richten. Die HSK als Kontroll- und Aufsichtsbehörde hat ihrerseits zu prüfen, ob das vorgeschlagene Lagerkonzept die gesetzlichen und sicherheitstechnischen Anforderungen erfüllt und technisch auch machbar ist.
a) Machbarkeit
Die Nagra hat in NTB 02-02 in Kapitel 9 die Frage der Rückholbarkeit der Abfälle behandelt und technische Lösungsvorschläge für die Rückholung der HAA- und BE-Behälter in Abschnitt 9.3 aufgezeigt. Die Nagra untersuchte dabei die Rückholung der Behälter zu unterschiedlichen Zeitpunkten (während des Einlagerungsbetriebes, während der Beobachtungs und Überwachungsphase und nach dem Verschluss der Gesamtanlage). In einer detaillierten Konzeptstudie (ROWA 1999) wurden die einzelnen Arbeitsschritte, die zur Rückholung der Behälter erforderlich sind, näher erläutert. Alle Rückholarbeiten werden ferngesteuert durchgeführt. Dabei gelangen verschiedene Arbeitsgeräte, die in Modul-Form realisiert werden, zum Einsatz (siehe Fig.9.1, Nagra Technischer Bericht NTB 02-02). Die Nagra kommt in ihrem Bericht zum Schluss, dass bis zu einem allfälligen Verschluss des Gesamtlagers die Rückholung der Behälter ohne grossen Aufwand möglich ist und einen ähnlichen Aufwand erfordern würde wie der Einlagerungsvorgang.
Die HSK hat in ihrem Gutachten die Frage der Rückholbarkeit der Abfälle geprüft und grundsätzlich als machbar bewertet. In den technischen Berichten zum Entsorgungsnachweis Opalinuston hat die Nagra die wichtigsten Aspekte der Überwachung und des stufenweisen Verschlusses des geologischen Tiefenlagers dargelegt. Das Überwachungskonzept und die Rückholbarkeit der Abfälle sind in der jetzigen Phase des Machbarkeitsnachweises in groben Zügen skizziert. Das vorgelegte Konzept erfüllt die Anforderungen des neuen Kernenergiegesetzes. Es weist nach Ansicht der HSK noch einige offene Punkte auf, welche die grundsätzliche Machbarkeit aber nicht in Frage stellt (siehe Kapitel 3.4 und 3.5 des HSK-Gutachtens). Die Detailausführungen zur Rückholung der Behälter müssen, falls das Projekt weitergeführt wird, im Hinblick auf das Rahmenbewilligungsgesuch noch genauer erarbeitet werden und dabei auch die verschiedenen möglichen Szenarien, die zum Entscheid eines Rückholens der Abfälle führen könnten, aufzeigen. Vor der Inbetriebnahme eines geologischen Tiefenlagers sind gemäss Kernenergieverordnung Art.65 die für die Rückholung erforderlichen Techniken und deren Funktionstüchtigkeit vor Ort in einem untertägigen Felslabor nachzuweisen.
Die Frage der Rückholbarkeit der Abfälle wurde nicht nur im Lagerkonzept der Nagra sondern auch in den Endlagerkonzepten anderer Länder in den vergangenen Jahren untersucht oder diskutiert (u.a. Belgien, Frankreich, Schweden, Finnland). Viele Endlagerkonzepte sehen die Rückholbarkeit als eine mögliche Option vor, in einigen Ländern ist sie im Gesetz verankert (siehe Tabelle 76-80 – 1). In Schweden ist die Option der Rückholung der Abfälle im Gesetz nicht enthalten, die Behörden verlangen aber ein stufenweises Vorgehen bezüglich der Realisierung eines Endlagers für abgebrannte Brennelemente: in einem ersten Schritt soll in einem Demonstrations-Endlager mit ca. 5-10% des Abfallinventars und einem Monitoringprogramm die Funktionsfähigkeit des Barrierensystems nachgewiesen werden. Bei positiver Bewertung soll dann in einem zweiten Schritt das Endlager vollständig erstellt werden.
b) Einlagerungskonzept
Der Fragesteller weist auf das schwedische Konzept der vertikalen Einlagerung der Behälter hin, welches eine einfachere Rückholung gewährleisten würde. Dazu ist festzuhalten, dass beim schwedischen Einlagerungskonzept nicht primär die Frage der Rückholbarkeit im Vordergrund steht sondern sicherheitstechnische Überlegungen. Neben der vertikalen Einlagerung erwägt SKB (Svensk Kärnbränslehantering AB) heute auch die Möglichkeit einer horizontalen Einlagerung der Behälter (siehe www.skb.se). Das horizontale Einlagerungskonzept ermöglicht nach Ansicht von SKB eine bessere Ausnützung der Platzverhältnisse und eine Verstärkung der Bentonitbarriere und damit eine grössere Sicherheit. Zudem würde das Ausbruchvolumen an Gestein und damit die Beeinflussung der hydrogeologischen Verhältnisse geringer. Eine Studie von SKB zeigt, dass die evaluierten Rückholtechniken auch bei einer horizontalen Einlagerung der Behälter angewendet werden können (SKB Technical Report TR-00-15).
c) Überwachung
Was die Frage der Überwachung des Lagers betrifft ist festzuhalten, dass dieser Aspekt in der Schweiz im Kernenergiegesetz (KEG) und in der Kernenergieverordnung (KEV) festgeschrieben ist. Das Gesetz ist dabei weitgehend den Empfehlungen der Expertengruppe Entsorgungskonzepte für radioaktive Abfälle (EKRA 2000) gefolgt. Das Gesetz schreibt vor, dass nach der Einlagerung der Abfälle vor dem Verschluss des Gesamtlagers eine Überwachungs- und Beobachtungsphase folgt, während welcher das Verhalten des gesamten Barrierensystems in einem sogenannten Pilotlager überwacht wird (KEG Art. 37 – 39 und KEV Art. 11 und 64 – 68). Die Bauweise des Pilotlagers und die Art der Einlagerung der Abfälle und der Verfüllung müssen dabei dem Hauptlager entsprechen. Die Resultate der Überwachung liefern die Grundlagen zur Bestätigung der Langzeitsicherheit bzw. die Entscheidungsgrundlagen, ob Abfälle allenfalls aus dem Hauptlager rückgeholt werden müssen. Der Bundesrat ordnet nach Ablauf der Beobachtungsphase die Verschlussarbeiten an, wenn der dauernde Schutz von Mensch und Umwelt gewährleistet ist (KEG Art. 39).