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Technisches Forum Sicherheit

Frage 56: Naturgefahren während der Bauphase

Welche Auswirkungen können Naturereignisse auf ein im Bau befindliches Tiefenlager haben und wie aufwändig sind entsprechende Schutzvorkehrungen?

Folgende Naturereignisse sind von Interesse:

  1. Erdbeben der Intensität 7.5 oder mehr auf der Richterskala
  2. Lokaler Erdrutsch
  3. Regionales Hochwasser
  4. Dammbruch des Schluchsees
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Eingegangen am 23. Februar 2011 Fragende Instanz Gemeinderat Laufenburg (CH)
Status beantwortet
Beantwortet am 1. Dezember 2011 Beantwortet von ,

Beantwortet von ENSI

Gemäss Artikel 8 der Kernenergieverordnung sind bei Kernanlagen Schutzmassnahmen gegen Störfälle mit Ursprung innerhalb oder ausserhalb der Anlage zu treffen. Als Störfälle mit Ursprung ausserhalb der Anlage gelten insbesondere Störfälle, die ausgelöst werden können durch Erdbeben, Überflutung, unfallbedingten Absturz von zivilen und militärischen Flugzeugen auf die Anlage, Sturmböe, Blitzschlag, Druckwelle, Brand, Verlust der externen Stromversorgung und Beeinträchtigung oder Unterbruch der externen Kühlwasserzufuhr. Die in dieser Frage genannten „Naturereignisse“ werden durch Artikel 8 der Kernenergieverordnung abgedeckt.

Ein Geologisches Tiefenlager ist eine Kernanlage. Gemäss Richtline ENSI-G03 ist für die Betriebsphase eine probabilistische Sicherheitsanalyse durchzuführen. Die dazu notwendige Gefährdungsanalyse durch extern ausgelöste Ereignisse wie Erdbeben, Überflutung, usw. ist gemäss Verordnung des UVEK über die Gefährdungsannahmen und die Bewertung des Schutzes gegen Störfälle in Kernanlagen durchzuführen. Folglich müssen oberflächennahe Naturgefahren beherrscht werden. Der Gesuchsteller (Nagra) hat entsprechende Sicherheitsnachweise zur Beherrschung dieser Auswirkungen auf Oberflächenanlagen und Untertagebauten für die Betriebsphase und Nachverschlussphase zu erbringen.

Da es sich bei einem im Bau befindlichen geologischen Tiefenlager vor der Betriebsphase um eine konventionelle Baustelle handelt, gilt der Fokus unserer Antwort der Betriebsphase von Oberflächen- und Untertagebauwerke. Die Betriebsphase der Anlage beginnt, wenn die ersten radioaktiven Abfälle angeliefert werden. Bau und Betrieb der Anlage werden zeitlich einige Jahre überlappen. Für die Erdbebengefährdung von Untertagebauwerke während der Nachverschlussphase wird an dieser Stelle auf die Antwort zur TFS-Frage 44 verwiesen.

Antwort zu a)

Die von der Nagra vorgeschlagenen Standortgebiete der Nordschweiz liegen in seismisch ruhigen Gebieten. Trotzdem ist über lange Zeiträume damit zu rechnen, dass auch Erdbeben mittlerer und grosser Stärke auftreten. Für die Betriebsphase der Oberflächenanlagen und Untertagebauwerke sind probabilistische Sicherheitsanalysen bzgl. Erdbeben basierend auf dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik durchzuführen. Die Anlagen werden auf die Wirkung des von der Behörde definierten Sicherheitserdbeben ausgelegt (grösstmögliches Erdbeben in 10 000 Jahren).

Für die Auswirkungen eines Erdbebens auf die Oberflächenanlagen eines geologischen Tiefenlagers ist nicht primär dessen Magnitude (d.h. der Wert der freigesetzten Energie, angegeben in arabischen Zahlen) relevant, sondern die Intensität der Bodenerschütterung vor Ort (angegeben in römischen Ziffern). Ein grosses Erdbeben in grösserer Distanz kann weniger Auswirkungen haben als ein kleines, aber nahes Erdbeben. Erdbeben mit Magnituden von 7.5 oder stärker kommen in der Schweiz nur mit sehr geringen Wahrscheinlichkeiten vor und werden entsprechend in den notwendigen probabilistischen Sicherheitsanalysen berücksichtigt.

Die Auswirkungen von Erdbeben auf Oberflächenanlagen umfassen z.B. Erschütterungen, Bodenverflüssigungen, Bodensetzungen, Oberflächenverschiebungen, Erdrutsche und Felsstürze, Überflutung. Sie können zum Verlust von wichtigen Versorgungssystemen führen sowie Brände und Explosionen auslösen. In den Untertagebauten sind vor allem Auswirkungen wie Gebirgsschlag, erdbebeninduzierte Wasser- oder Gaszutritte zu berücksichtigen. Bei der Beherrschung dieser Phänomene und der Gewährleistung der Sicherheit von Untertagebauwerke kann auf weltweite Erfahrungen (z.B. in tiefen Bergwerken und Tunneln) zurückgegriffen werden. Die Untertagebauten sind grundsätzlich weniger von Erdbebenschäden betroffen, da hier die Hohlräume vom Gebirge fest umschlossen sind und nicht wie an der Oberfläche frei schwingen können.

Antwort zu b bis d)

Mit Erdrutschen und Überflutungen durch lokale Hochwasser sind weitere Naturgefahren aufgelistet. Mit dem Dammbruch des Schluchsees wird ein durch den Menschen mitverursachtes Ereignis genannt, welches in seinen Auswirkungen einer Überflutung gleichkommt. Die Oberflächenanlagen eines geologischen Tiefenlagers sind dem gesamten Spektrum von Naturgefahren ausgesetzt und müssen entsprechend ausgelegt werden. Der entsprechenden Gefahr kann entweder ausgewichen oder, falls dies nicht möglich ist, die Anlage gegen die bestehende Gefahr ausgelegt werden.

Die Hochwasser- und Bergsturzgebiete sind räumlich begrenzt und werden auf entsprechenden Gefährdungskarten der Kantone dargestellt. Bei der Wahl des Standortes für die Oberflächenanlagen wird diesen Zonen ausgewichen oder die Anlagen werden gegen die entsprechenden Gefahren ausgelegt. Bezüglich eines Dammbruches am Schluchsee ist zu bemerken, dass der Standort des Kernkraftwerks Leibstadt auf diesen Fall hin bereits untersucht worden ist. Dabei wurde festgestellt, dass ein Brechen der rheinischen Stauwehre (insbesondere Eglisau) deutliche grössere Überflutungen verursacht als ein Dammbruch am Schluchsee.

Für die untertägigen Anlagen des geologischen Tiefenlagers sind oben genannte Naturgefahren – abgesehen von Erdbeben – nach Verschluss des Lagers grundsätzlich durch die räumliche Trennung zur Oberfläche nicht mehr relevant.

Beantwortet von Nagra

Während der effektiven Bauphase können Naturereignisse zwar die im Bau befindlichen Bauwerke beschädigen; diese können aber wieder instand gestellt oder im Extremfall ersetzt werden. Dies gilt insbesondere für Gebäude an der Oberfläche. Für die Untertagbauten ist eine Flutung der in Bau befindlichen Lagerkammern zu vermeiden, weil diese im Extremfall so beschädigt werden können, dass sie ihre Funktion bzgl. Langzeitsicherheit nicht mehr zuverlässig wahrnehmen können und deshalb aufgegeben werden müssten. Diesbezüglich sind nur Überflutungen (Hochwasser, Dammbrüche) relevant, wobei durch Anordnung und Ausgestaltung des Zugangs Untertag (Schacht und/oder Rampe) eine Flutung relativ einfach und ohne grossen Aufwand ausgeschlossen werden kann.

In der Betriebsphase (die wohl mit der Frage gemeint ist) werden die Abfallgebinde und die technischen Barrieren in die Lagerkammern eingebracht und diese sukzessive verschlossen. In der Betriebsphase sind Naturereignisse im Zusammenhang mit der (radiologischen) Betriebssicherheit zu betrachten.

Zur Gewährleistung der (radiologischen) Betriebssicherheit gibt es verschiedene Möglichkeiten, mit Einwirkungen von Aussen – wie es Naturereignisse darstellen – umzugehen:

  • Man kann dem Naturereignis im Rahmen der Wahl der Standortareale für die Oberflächen­anlage ausweichen (z.B. Meidung von Flächen, wo es zu erheblichen Überschwemmungen kommen kann)
  • Man kann das Naturereignis bei der Auslegung der Anlage berücksichtigen, indem man verhindert, dass es auf die sicherheitsrelevanten Anlagenteile einwirkt (z.B. Schutzbauten zur Verhinderung der Überflutung von sicherheitsrelevanten Anlagenteilen)
  • Man kann das Naturereignis bei der Auslegung der sicherheitsrelevanten Anlagenteile berücksichtigen (z.B. Ausgestaltung der sicherheitsrelevanten Anlagenteile so, dass eine Überflutung keine sicherheitsrelevanten Folgen hat)
  • Man kann aufzeigen, dass das Naturereignis irrelevant für die Sicherheit der Anlagen ist (Auswirkungen zu klein, Eintretenswahrscheinlichkeit vernachlässigbar)

In der gegenwärtigen Phase sind diejenigen Naturereignisse relevant, welche einen Einfluss auf die Festlegung der Standortareale für die Oberflächenanlage haben. Nachfolgend werden die in der Frage aufgelisteten Naturereignisse diesbezüglich kurz diskutiert.

Erdbeben: Erdbeben sind nicht lokal sondern grösserräumig wirksam, sodass die Auswirkungen von Erdbeben durch die Wahl der Standortareale nicht eliminiert werden können. Die sicherheitsrelevanten Anlagenteile der Oberflächenanlage können auch gegen schwere Erdbeben ausgelegt werden, wobei dazu die lokalen Baugrundbedingungen berücksichtigt werden. Die Grundlagen dazu sind vorhanden. Erdbeben sind deshalb bei der Festlegung der Standortareale für die Oberflächenanlage nur von beschränkter Bedeutung; die Baugrundeigenschaften werden schon durch andere Aspekte berücksichtigt.

Für die Lagerkammern im Wirtgestein in einigen hundert Metern Tiefe werden Erdbeben im Zusammenhang mit Verschiebungen an Störungs­zonen explizit berücksichtigt. Dazu sind nur grössere reaktivierbare Störungszonen relevant, da es nur bei solchen Störungszonen zu grösseren Verschiebungen kommen kann. Solche Störungszonen werden im Rahmen der Exploration lokalisiert und ihnen wird mit den Lagerkammern ausgewichen.

Erdrutsche: Erdrutsche sind lokal wirksam, und ihnen kann grundsätzlich durch geeignete Wahl der Standortareale ausgewichen werden. Erdrutsche bzw. ihre Auswirkungen können häufig auch durch bauliche Massnahmen beherrscht werden. Erdrutsche werden bei der Festlegung der Standortareale betrachtet.

Überflutung: Überflutungen als Folge von Hochwasser oder als Folge des Versagens einer Stauanlage sind lokal wirksam. Die Auswirkungen von Überflutungen auf die sicherheitsrelevanten Anlagenteile können in vielen Fällen durch bauliche Massnahmen verhindert oder eingeschränkt werden. Überflutungen werden bei der Festlegung der Standortareale betrachtet und ihre Bedeutung für die grundsätzliche Auslegung der Anlagen beurteilt. Bezüglich Hochwasser und Überflutung als Folge des Bruchs von Absperrbauwerken sind die entsprechenden Unterlagen vorhanden. Dies gilt auch für den Schluchsee.