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Technisches Forum Entsorgungsnachweis

Frage 26: Langzeitszenarien zukünftiger Nutzungspotentiale

Langzeitszenarien(III):

Wie ist gewährleistet, dass spätere Generationen nicht unbeabsichtigt auf das Endlager stossen? Es ist zwar davon auszugehen, dass kaum je mineralische Rohstoffe exploriert werden, denkbar ist hingegen, dass z.B. für die geothermische Nutzung Bohrungen abgeteuft werden (z.B. Erdwärmesonden). Sind auch Sicherheitsmassnahmen wie z.B. der Einbau einer mechanisch resistenten Schutzschicht oder einer „Warnschicht“ über den eingelagerten Abfällen vorgesehen?

Thema , Bereich
Eingegangen am 23. Dezember 2005 Fragende Instanz Vertreter des Kantons Schaffhausen
Status beantwortet
Beantwortet am 23. Dezember 2005 Beantwortet von ,

Beantwortet von ENSI

Gesetzliche Bestimmungen zur Vermeidung eines unbeabsichtigten menschlichen Eindringens in ein verschlossenes geologisches Tiefenlager

Ein unbeabsichtigtes Eindringen in ein verschlossenes Tiefenlager kann nicht für beliebige Zeiten ausgeschlossen werden. Es werden aber gesetzlich vorgeschriebene Massnahmen getroffen, damit ein solches Eindringen, das erhebliche radiologische Folgen mit sich ziehen könnte, möglichst vermieden wird.

Standortwahl

Die Massnahmen beginnen bereits bei der Standortwahl: Ein Standort für ein geologisches Tiefenlager ist so zu wählen, dass möglichst keine Nutzungskonflikte entstehen, d.h. potenzielle Rohstoffgebiete (auch Geothermie) sind nach Möglichkeit zu meiden. Diese Forderung steht im Prinzip 2 der Richtlinie HSK-R- 21. Sie wird als eines der technischen Kriterien für die Standortwahl in Sachplan stehen, der zurzeit von den Bundesbehörden vorbereitet wird.

Schutzbereich

Das neue Kernenergiegesetz (KEG) schreibt einen Schutzbereich um ein geologisches Tiefenlager vor. Gemäss KEG Art. 40 ist der Schutzbereich der Raum im Untergrund, in dem Eingriffe die Sicherheit des Lagers beeinträchtigen könnten. Gemäss Art. 70 der Kernenergieverordnung (KEV) umfasst er alle Teile des Tiefenlagers (inkl. Zugänge), die Gesteinsbereiche, die den hydraulischen Einschluss bilden, sowie jene, die wesentlich zur Rückhaltung der Radionuklide beitragen. Ein vorläufiger Schutzbereich wird mit der Rahmenbewilligung festgelegt (KEG Art. 14), der definitive mit der Betriebsbewilligung. Der Schutzbereich wird im Grundbuch angemerkt und im Richt- bzw. Nutzungsplan eingetragen. Wer Bohrungen, Stollenbauten, Sprengungen und andere Vorhaben, durch die ein Schutzbereich berührt wird, durchführen will, braucht eine Bewilligung des UVEK (KEG Art. 40 und KEV Art. 70). Voraussetzung für die Erteilung einer solchen Bewilligung ist, dass die Langzeitsicherheit des Tiefenlagers nicht beeinträchtigt wird.

Dokumentation

Der Betreiber eines Tiefenlagers muss eine vollständige Dokumentation über die für die Sicherheit wesentlichen Erkenntnisse, die Pläne und das Abfallinventar führen (KEG Art. 38). Die Dokumentation muss für eine langfristige Sicherstellung der Kenntnisse über das Lager geeignet sein (KEV Art. 71). Nach dem Verschluss des Lagers hat er diese Dokumentation dem UVEK zu übergeben (KEV Art. 27 und 41). Der Bundesrat sorgt dafür, dass diese Informationen aufbewahrt werden und die Kenntnisse darüber erhalten bleiben (KEG Art. 40).

Markierung

Darüber hinaus sieht das Gesetz vor (KEG Art. 40), dass der Bundesrat zu gegebener Zeit die dauerhafte Markierung eines Tiefenlagers vorschreibt. Der Verschluss des Lagers muss so vorgenommen werden, dass die Markierung dauerhaft ist (KEV Art. 69). Der Verschluss eines Tiefenlagers wird erst in vielen Jahrzehnten aktuell. In der heutigen Gesetzgebung wurde die Art der Markierung nicht vorgeschrieben. Zu gegebener Zeit wird der Stand der diesbezüglichen Technik und der Praxis im internationalen Vergleich berücksichtigt.

Folgerungen

Die gesetzlich vorgeschriebenen Massnahmen zum Schutz eines Tiefenlagers und zur Aufrechterhaltung der Kenntnis darüber sind geeignet, um ein unbeabsichtigtes Anbohren des Lagers langfristig zu vermeiden. Die Schweiz hat diesbezüglich Pionierarbeit geleistet: An der ersten Überprüfungstagung zum Gemeinsamen Übereinkommen über die Sicherheit der Behandlung abgebrannter Brennelemente und über die Sicherheit der Behandlung radioaktiver Abfälle im November 2003 in Wien wurde der Schweiz eine entsprechende Anerkennung ausgesprochen. Ein unbeabsichtigtes Anbohren eines verschlossenen Tiefenlagers zu einem späten Zeitpunkt, nachdem die Kenntnis über das Lager trotz allen getroffenen Massnahmen verloren gegangen ist, kann aber nicht ausgeschlossen werden. In der Sicherheitsanalyse muss der Projektant deshalb beschreiben, welche Art von menschlichen Eindringen denkbar sind und welche radiologische Auswirkungen daraus erfolgen könnten.

Beantwortet von Nagra

Die Entsorgung von radioaktiven Abfällen in einem geologischen Tiefenlager, das tief unter der Erdoberfläche (d.h. weit entfernt von der menschlichen Einflusssphäre) und in einem Gebiet ohne spezielle Rohstoffvorkommen oder anderen speziellen absehbaren zukünftigen Nutzungsmöglichkeiten platziert wird, minimiert die Wahrscheinlichkeit eines künftigen unbeabsichtigten menschlichen Eindringens (absichtliches menschliches Eindringen ins geologische Tiefenlager muss gemäss der gültigen HSK-Richtlinie R-21 nicht behandelt werden in einer Sicherheitsanalyse).

Die Wahrscheinlichkeit eines künftigen unbeabsichtigten menschlichen Eindringens wird weiter minimiert, wenn zukünftige Gesellschaften über das geologische Tiefenlager informiert sind. Es gibt zwei hauptsächliche Strategien, die für diesen Zweck entwickelt worden sind: Archivierung der Information und die Erstellung von so genannten Markern über dem geologischen Tiefenlager [1-3]. Es muss aber mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass z.B. nach einer Eiszeit oder als Folge von grossen gesellschaftlichen Instabilitäten (Krieg, Unruhen, …) die Informationen über das geologische Tiefenlager irgendwann einmal verloren gehen. Falls dies eintrifft, müsste eine Gesellschaft, die nach einem solchen Ereignis z.B. eine Probebohrung abteufen möchte, zuerst wieder über die notwendige Technologie verfügen. Es wird betont, dass in der Zeitspanne zwischen der Einlagerung der Abfälle und einem allfälligen unbeabsichtigten menschlichen Eindringen ins geologische Tiefenlager aufgrund des radioaktiven Zerfalls die Radiotoxizität der Abfälle abnimmt, und zwar umso stärker, je länger diese Zeitspanne dauert.

Für eine eventuelle künftige geothermische Nutzung gibt es aus heutiger Sicht grundsätzlich zwei Möglichkeiten:

  1. Erdwärmesonden Erdwärmesonden für Wärmetauscher werden typischerweise in Bohrungen mit einer Tiefe von etwa max. 200 m eingebracht. Da die Opalinustonschicht im Zürcher Weinland in einer Tiefe von 600 – 700 m liegt und das geologische Tiefenlager in der Mittelebene dieser Schicht platziert würde, würde eine Bohrung für eine Erdwärmesonde die Integrität des Lagers in keiner Weise in Frage stellen.
  2. Deep Heat Mining Beim Deep Heat Mining werden Bohrungen bis zu ca. 5000 m abgeteuft (Temperatur ca. 200 °C), um Wärme zu gewinnen z.B. zur Stromproduktion.

Es kann angenommen werden, dass eine Gesellschaft, die über die notwendige Technologie verfügt, um ein solches Deep Heat Mining- Projekt erfolgreich zu realisieren, zunächst eine Standortevaluation durchführt, um sicherzustellen, dass der gewählte Standort optimal ist in Bezug auf die Energieausbeute. Betrachtet man z.B. die Karte der thermischen Leistung in der 500 m mächtigen Verwitterungsschicht des Kristallins [4], so ist ersichtlich, dass das Zürcher Weinland deutlich weniger günstig ist als z.B. das untere Aaretal; d.h. auch in Bezug auf eine eventuelle künftige geothermische Nutzung ist die einleitend angegebene Bedingung („Wirtgestein ohne spezielle Rohstoffvorkommen oder anderen speziellen absehbaren zukünftigen Nutzungsmöglichkeiten“) für den Opalinuston im Zürcher Weinland erfüllt.

Der Fall, in dem trotz allen Vorsichtsmassnahmen ein unbeabsichtigtes Anbohren des geologischen Tiefenlagers erfolgt, wurde im Sicherheitsbericht zum Entsorgungsnachweis evaluiert. Selbst im extremsten aller betrachteten Fälle (Durchbohren eines LMA-Tunnels 500 Jahre nach Ende der Abfalleinlagerung, hydraulischer Kurzschluss zwischen den unterhalb und oberhalb der Opalinustonschicht liegenden Aquiferen mit entsprechendem Wasserfluss, hypothetische Radionuklidfreisetzung aus dem LMA-Tunnel via Bohrloch direkt in die Biosphäre) resultiert eine Dosis, die unterhalb dem Schutzziel der HSK-R-21 liegt.

Auf den Einbau einer mechanisch resistenten Schutzschicht oder einer Warnschicht über den eingelagerten Abfällen wird im vorgeschlagenen Konzept bewusst verzichtet, da eine solche Schicht einerseits die für die Radionuklidrückhaltung günstigen Eigenschaften des geologischen Tiefenlagers beeinträchtigen könnte, ohne andererseits im Falle eines Anbohrens einen entscheidenden zusätzlichen Beitrag zur Sicherheit zu leisten. Es wird in diesem Zusammenhang auch darauf hingewiesen, dass die massiven Stahlbehälter für abgebrannte Brennelemente rsp. für verglaste hochaktive Abfälle selbst schon einen mechanischen Schutz bieten. Ein unbemerktes Durchbohren eines solchen Stahlbehälters mit heutiger Bohrtechnik, solange seine mechanische Integrität erhalten ist (> 10’000 Jahre), wird nicht als möglich eingestuft.

Referenzen

[1] Jensen, M.: Conservation and retrieval of information: Elements of a strategy to inform future societies about nuclear waste repositories: Final report of the Nordic Nuclear Safety Research Project KAN-1.3. Nordic Nuclear Safety Research, 1993.

[2] International Atomic Energy Agency: Maintenance of records for radioactive waste disposal. IAEA-TECDOC 1097. IAEA, Vienna, 1999.

[3] Trauth, K.M., Hora, S.C. & Guzowski, R.V.: Expert judgement on markers to deter inadvertent human intrusion into the Waste Isolation Pilot Plant. Sandia Report SAND92-1382. Sandia National Laboratories, Albuquerque, 1993.

[4] Signorelli, S., Andermatten Berthoud, N. & Kohl, T.: Geothermischer Atlas der Schweiz, Jahresberichte 2004, Schweizerische Geophysikalische Kommission SGPK.