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Frage 98: Asbest als alternatives Material für Lagerbehälter

Asbest ist in gebundener Form unproblematisch bezüglich der Emission von Asbestfasern. Auch die Fabrikation der Behälter könnte mit entsprechenden technischen Massnahmen ungefährlich durchgeführt werden. Asbestbehälter sind, auch bei hohem technischem Aufwand, wegen des Gesundheitsschutzes immer noch billiger als Stahlbehälter. Könnte Asbest ein alternatives Material für Lagerbehälter sein?

Asbest hat gegenüber Stahl viele Vorteile:

  • Er rostet nicht
  • Er ist resistent gegen Chemikalien
  • Er brennt nicht
  • Er ist hitzebeständig bis 400 Grad und kurzfristig bis 1000 Grad

Er hat eine hohe Elastizität und eine Zugfestigkeit die höher als diejenige von Stahldrähten ist.

Thema Bereich
Eingegangen am 19. Juni 2013 Fragende Instanz Fragen aus der Bevölkerung
Status beantwortet
Beantwortet am 29. August 2016 Beantwortet von

Beantwortet von Nagra

Ein BE/HAA-Behälter aus Asbest kann die Anforderungen für (1) die Langzeitsicherheit bzw. Nachverschlussphase, (2) die radiologische Betriebssicherheit bzw. Betriebsphase sowie (3) die technische Machbarkeit und weitere Anforderungen nicht erfüllen. Grund dafür sind die Asbest-Eigenschaften: (i) die relativ hohe hydraulische Durchlässigkeit und Porosität, und (ii) die niedrige Wärmeleitfähigkeit sowie (iii) die nicht absehbare technische Machbarkeit des Verschlusses. In dieser Antwort wird gezeigt, dass Asbest als alternatives Material für BE/HAA-Lagerbehälter nicht in Betracht gezogen werden kann.

Die Antwort der Nagra ist wie folgt gegliedert:

  1. Einleitung
  2. Wichtige Anforderungen an BE/HAA-Behälter
  3. Asbest: Wichtige Eigenschaften
  4. Beurteilung

Einleitung

Der Lagerbehälter ist eines von mehreren, aufeinander abgestimmten Elementen des Systems der passiven Sicherheitsbarrieren eines geologischen Tiefenlagers, welche im Zusammenspiel die Sicherheit gewährleisten. Für die verbrauchten Brennelemente bzw. die verglasten hochaktiven Abfälle aus der Wideraufarbeitung verlangt die Behörde eine Einschlusszeit von mindestens 1000 Jahren (ENSI-Richtlinie ENSI-G03). Dies kann mit verschiedenen Behältermaterialien erreicht werden. Um den Handlungsspielraum zur Optimierung zu erhalten, werden verschiedene Alternativen offen gelassen. So sieht das Auslegungskonzept des HAA-Lagers Behälter für BE/HAA aus Kohlenstoffstahl bzw. aus alternativen Materialien (z.B. Behälter aus Stahl oder Gusseisen mit Kupfermantel bzw. Kupferbeschichtung) vor.

Wichtige Anforderungen an BE/HAA-Behälter [1]

Langzeitsicherheit bzw. Nachverschlussphase

  • Vollständiger Einschluss im Behälter für mindestens 1‘000 Jahre (behördliche Anforderung)
  • Falls gut machbar, vollständiger Einschluss im Behälter für deutlich länger als 1‘000 Jahre (interne Zielvorgabe: 10‘000 Jahre)
  • Zuverlässiger Einschluss (zuverlässiges Materialverhalten (inkl. Erfahrungen), zuverlässige Herstellung & Verschluss, Gutmütigkeit gegenüber Variabilität/Ungewissheiten bei in-situ Bedingungen, zuverlässige und erprobte qualitätssichernde Massnahmen bei der Herstellung und beim Verschluss, …)
  • Keine übermässige Beeinträchtigung der anderen Barrieren (z.B. durch Gasbildung, chemische Interaktion, Wärmeeinwirkung, …)
  • Vermeidung von Kritikalität (Nachverschlussphase)

Radiologische Betriebssicherheit bzw. Betriebsphase

  • Genügend Abschirmung zur Gewährleistung genügend tiefer Oberflächendosisleistung (Möglichkeiten zur Intervention)
  • Widerstand gegen Belastungen als Folge von Betriebsstörungen
  • Zuverlässiger Handhabungsprozess (Beladung, Verschluss bzw. Einlagerung, Rückholung) zur Vermeidung von Störungen und zur Sicherstellung der Möglichkeit zur Intervention falls nötig
  • Vermeidung von Kritikalität beim Betrieb (Beladung, Handhabung, …)

Technische Machbarkeit

  • Rückholbarkeit ohne grossen Aufwand bis zum Ende der Beobachtungsphase (Vorgabe aus Kernenergiegesetz bzw. -Verordnung)
  • Verwendung erprobter Technologien
  • Verwendung erprobter Materialien, nach Möglichkeit mit Informationen zum Langzeitverhalten (inkl. archäologische Informationen)
  • Genügender Durchsatz in der Verpackungsanlage
  • Möglichkeit der Korrektur bei Bedarf (Entnahme, neue Verpackung)
  • Ressourcen- & Umweltverträglichkeit

Weitere Vorgaben

  • Aufnahme der vorhandenen bzw. der in Zukunft anfallenden verbrauchten Brennelemente bzw. HAA-Kokillen

Asbest: Wichtige Eigenschaften

Asbest ist eine Sammelbezeichnung für verschiedene natürlich vorkommende, faserförmige Silikat-Minerale. Chrysotil (Mg3Si2O5(OH)4) fand die technisch weitaus breiteste Anwendung, zum grössten Teil als Armierungsfaser in Asbestzement. Die komplexe Kristallstruktur führt beim Chrysotil dazu, dass sich die Schichten zylindrisch einrollen und lange, feine und innen hohle Fasern bilden. Diese verwachsen zu filz- oder mattenartigen Aggregaten. Aufgrund der inzwischen eindeutig festgestellten Gesundheitsgefahren, die von Asbest ausgehen, ist der Einsatz heute in vielen Staaten verboten, unter anderem in der ganzen Europäischen Union und in der Schweiz (seit 1990). Bei entsprechenden Massnahmen wäre Asbest aber ev. trotzdem einsetzbar. Wichtige Materialeigenschaften von Asbest und Kohlenstoffstahl im Hinblick auf eine Verwendung als Behältermaterial für den BE/HAA-Behälter sind in Tab. 98-1 zusammengestellt.

Eigenschaft Asbest (Chrysotil) Kohlenstoffstahl
hydraulische Durchlässigkeit [m/s] ~ 10-6 … 10-8 ~ 0
Porosität 0.01 … 0.1 ~ 0
Dichte [kg/m3] 2’530 … 2’650 ~ 7’850
Druckfestigkeit [MPa] ~ 100 ~ 150
Zugfestigkeit [MPa] 550 … 1’400 240 … 2’450
Wärmeleitfähigkeit [W/(m K)] ~ 0.1 ~ 52 (0.1% C)
Härte (Mohs-Skala) ~ 2.5 (~ Fingernagel) ~ 5

Tab. 98-1: Wichtige Materialeigenschaften von Asbest und Kohlenstoffstahl

Beurteilung

Asbest hat eine relativ hohe hydraulische Durchlässigkeit und Porosität. Deshalb ist ein vollständiger Einschluss der BE/HAA für mindestens 1’000 Jahre, wie er von den Behörden gefordert wird, mit Asbest als Behältermaterial nicht erreichbar. Asbest hat auch eine niedrige Wärmeleitfähigkeit; d.h. Asbest ist ein guter thermischer Isolator. Aufgrund der zum Zeitpunkt der Einlagerung noch relativ hohen Wärmeleistung der BE von bis zu 1’500 W pro Behälter kann der kritische Temperaturbereich zur Gewährleistung der Hüllrohrintegrität (maximal zulässige Temperatur für BE: 400 °C, siehe NTB 12-06) erreicht und je nach detaillierter Behälterauslegung und in-situ Bedingungen auch überschritten werden. Ein weiterer Nachteil von Asbest als Behältermaterial ist die nicht absehbare technische Machbarkeit des Verschlusses, der die gleichen günstigen Eigenschaften aufweisen soll wie der Behälter. Im Gegensatz dazu haben Schweissnähte von Kohlenstoffstahl bzgl. Dichtheit die gleiche Qualität wie das Grundmaterial. Dazu gibt es viel Erfahrung mit unterschiedlichen Schweissverfahren. Schliesslich ist noch zu erwähnen, dass die Abschirmung zur Gewährleistung einer genügend tiefen Oberflächendosisleistung (wichtig bei allfällig notwendiger Intervention bei der Einlagerung oder bei allfälliger Rückholung) bei einem Behälter aus Asbest deutlich reduziert wäre im Vergleich mit einem solchen aus Kohlenstoffstahl. Ein BE/HAA-Behälter aus Asbest erfüllt die Anforderungen (Abschnitt 2 bzw. NTB 12-06, Tab. 2.1) nicht und wird deshalb nicht in Betracht gezogen.

Rückfrage der Fragestellenden

Die Fragestellenden bitten die Nagra bei der Beantwortung Asbest-Zement aufgrund folgender Vorteile ebenfalls zu berücksichtigen:

  • Es ist bekannt, dass Asbest ein hervorragendes Filtermaterial ist. Wegen der guten chemischen Beständigkeit würde dieses Material auch heute noch eingesetzt, wenn keine Gesundheitsgefahr bestehen würde. Zudem ist Asbest thermisch sehr stabil (1000º C sind auch längerfristig kein Problem) und ein guter Isolator. Die Gefährdung von Asbest geht vor allem vom schwach oder leicht gebundenen Asbest aus. Für ein Tiefenlager käme nur stark gebundener Asbest zum Einsatz.
  • Asbest-Zement ist dicht und alterungsbeständig. Die im Boden vergrabenen und noch heute benutzten Trinkwasserrohre aus Asbest-Zement aus dem Ende des 19. Jh. wurden mit über 20 bar geprüft. Der Betriebsdruck ist oft bei 16 bar. Ob die niedrige Wärmeleitfähigkeit von Asbest-Zement für HAA-Behälter ein Nachteil ist, sollte mit einer Wärmeflussrechnung über Jahrhunderte ermittelt werden. Auch das Verschliessen eines Behälters kann mit Asbest-Zement erfolgen.

Inwiefern kann Asbest-Zement als Lagerbehälter verwendet werden?

Ergänzung der Nagra

Wir würdigen grundsätzlich die Vorteile von Asbest-Zement, wie sie die Fachgruppe Sicherheit der Regionalkonferenz Nördlich Lägern in ihrer Rückfrage zur Antwort auf Frage 98 ins TFS eingebracht hat. Nichtsdestotrotz möchten wir darauf hinweisen, dass die Verwendung von Asbest in allen seinen Formen seit 1990 in der Schweiz verboten ist und dessen Gebrauch für BE/HAA-Endlagerbehälter deshalb aus legalistischer Sicht als problematisch erachtet wird.

In unserer Antwort gehen wir nicht weiter auf die legalistische Problematik ein, sondern beschränken uns auf die Darlegung von Argumenten, warum wir Asbest-Zement als nicht geeigneter Werkstoff für BE/HAA-Endlagerbehälter erachten.

Porosität: Eine der wichtigsten Anforderungen an den BE/HAA-Endlagerbehälter in Bezug auf die Langzeitsicherheit ist der vollständige Einschluss der Radionuklide für mindestens 1’000 Jahre, wobei als Anforderung an die Auslegung von BE/HAA-Behälter ein Einschluss von 10’000 Jahre zu Grunde gelegt werden. Zur Gewährleistung des vollständigen Einschlusses über solche Zeiträume ist als Material für BE/HAA-Endlagerbehälter ein nicht-poröses Material erforderlich. Asbest-Zement ist ein Verbundwerkstoff mit bis zu 12% Asbestfasern zur Verstärkung der Zementmatrix. Diese Matrix bildet den grössten Teil des Verbundmaterials: Sie enthält aber auch freies Wasser und muss als poröses Material erachtet werden. Aus sicherheitstechnischer Sicht ist die Verwendung von Asbest-Zement als Material für BE/HAA-Endlagerbehälter deshalb nicht angezeigt.

Festigkeit des Materials bei hohen Temperaturen: Asbest-Zement ist ein Wärmeisolator. Als Behältermaterial für BE/HAA-Behälter würde er aufgrund der Wärmeleitung von abgebrannten Brennelementen hohen Temperaturen ausgesetzt (bis zu 1’500 W Wärmeleistung pro Behälter). Bei solchen Temperaturen findet eine Degradation des Zements statt; diese kann zu Wasserverlust und zur Umwandlung von mineralogischen Zementphasen führen. Konsequenzen einer Zementdegradation sind Verlust der mechanischen Festigkeit, Rissbildung und Abplatzungen. Aufgrund dieser Tatsachen kann die mechanische Integrität eines BE/HAA-Behälters aus Asbest-Zement unter entsprechenden Bedingungen in einem geologischen Tiefenlager aus sicherheitstechnischer Sicht nicht gewährleistet werden.

[1]     Hier wird nur ein zusammenfassender Überblick über die wichtigsten übergeordneten Anforderungen gegeben; eine Liste mit detaillierten Anforderungen ist in NTB 12-06, Tab. 2.1 aufgeführt.