(Gemäss Sachplan geologische Tiefenlager, Konzeptteil S. 69 – 74)
Ziel: Die provisorische Sicherheitsanalyse hat zum Ziel, über die Wirkung und das Verhalten der einzelnen Barrieren Auskunft zu geben und zu zeigen, dass die berechneten Dosen unterhalb des Schutzkriteriums 1 der Richtlinie ENSI-G03 liegen. Numerische Berechnungen sind Teil der provisorischen Sicherheitsanalyse des jeweiligen Standorts. Die Ergebnisse dienen dem sicherheitstechnischen Vergleich von Standorten und geben auch Hinweise auf den Umfang der notwendigen weiteren Untersuchungen in Etappe 3, um die erforderliche Datensicherheit für ein Rahmenbewilligungsgesuch zu erreichen.
Inhalt: Die in Etappe 2 geforderten provisorischen Sicherheitsanalysen müssen aufgrund des Lagerkonzepts unter Berücksichtigung des definierten Abfallinventars und aufgrund der verfügbaren technischen und wissenschaftlichen Daten insbesondere Auskunft geben über:
- Rückhaltevermögen des Gesamtsystems (technische und geologische Barrieren und ihre Wechselwirkungen) und die maximale Dosis aus den realistischerweise zu erwartenden Freisetzungen (Referenzszenarium);
- Beitrag der geologischen Barriere zur Langzeitsicherheit;
- Langzeitverhalten der Barrieren.
In der provisorischen Sicherheitsanalyse wird die mögliche Freisetzung von Radionukliden (Migration der Nuklide vom Lager bis in die Biosphäre) quantitativ bestimmt. Der Analyse werden ein definiertes Abfallinventar sowie begründete Annahmen und Erwartungswerte zu den Eigenschaften der vorgesehenen technischen und geologischen Barrieren zugrunde gelegt. Unter Berücksichtigung der Wasserfliesswege in der Biosphäre sowie der möglichen Aufnahme der Radionuklide über das Trinkwasser und die Nahrung wird die Dosis für eine Einzelperson berechnet und beurteilt. Als Bewertungsmassstab für die Sicherheit gilt das in ENSI-G03 festgelegte Schutzkriterium von 0.1 mSv/Jahr.
In die Bewertung sind zusätzlich Aspekte des Systemverhaltens und der Robustheit einzubeziehen. Darunter ist folgendes zu verstehen:
- Variabilität bzw. Ungewissheiten der in den Modellierungen verwendeten Parametern und ihr Einfluss auf die Dosisberechnungen;
- Sensitivität der errechneten Dosis auf ein von den Erwartungen abweichendes Systemverhalten;
- Verlässlichkeit der räumlichen und zeitlichen Prognose (Explorierbarkeit, Prognostizierbarkeit, Zuverlässigkeit der Daten).
Vergleich von Standorten (Etappe 2)
Als Zwischenergebnis in Etappe 2 darf kein Standort vorgeschlagen werden, der aufgrund der provisorischen Sicherheitsanalyse und der weiteren sicherheitstechnischen Aspekte eindeutig als weniger geeignet bewertet ist als die anderen. Gleichzeitig dürfen Standorte nicht aufgrund von Dosisdifferenzen ausgeschlossen werden, die nur durch Ungewissheiten der zugrunde gelegten Daten verursacht werden.
Für den sicherheitstechnischen Vergleich von potenziellen Standorten ist ein standardisiertes Vorgehen erforderlich, das einerseits die quantitativen Ergebnisse der provisorischen Sicherheitsanalysen berücksichtigt und andererseits den qualitativen Aspekten der Sicherheitsbetrachtung Rechnung trägt. Der Vergleich enthält folgende Elemente:
- Darlegung der quantitativen Ergebnisse der Freisetzungsberechnungen für die realistischerweise zu erwartende Entwicklung des Tiefenlagers (Referenzszenarium, zeitlicher Verlauf der Personendosiskurve)
- Diskussion der Robustheit des Tiefenlagersystems gegenüber internen und externen Störereignissen und Aufzeigen der Ungewissheiten/Variabilitäten in den in den Modellierungen verwendeten Parametern und deren Einfluss auf die Personendosiskurve
- Bewertung der übrigen (qualitativen) Kriterien hinsichtlich Sicherheit und technischer Machbarkeit (z.B. Zuverlässigkeit der geologischen Aussagen, mögliche Beeinträchtigung durch Tiefenerosion). Weitere qualitative Sicherheitsindikatoren (z.B. Verweil- oder Einschlusszeiten natürlicher Tracerstoffe im Porenwasser des Wirtgesteins) sind zu berücksichtigen, soweit vorhanden.
Der sicherheitstechnische Vergleich der Standorte erfolgt zuerst durch die nachfolgend beschriebene Methode, die auch einen Vergleich der numerischen Berechnungen beinhaltet. Dabei werden die erwartete Entwicklung des Gesamtsystems (Tiefenlager, Nahfeld, Geosphäre) sowie seine Robustheit und die Ungewissheiten und Variabilitäten in den quantitativen Parametern berücksichtigt. Standorte, die sich bei diesem Vergleich als eindeutig weniger geeignet als andere erweisen oder das Schutzkriterium 1 nicht erfüllen, scheiden aus.
Die verbleibenden Standorte werden anschliessend anhand der qualitativen Sicherheitskriterien (gemäss Punkt 3) bewertet. Ein Standort kann ausscheiden, falls bei dieser Bewertung eindeutige Nachteile gegenüber den anderen Standorten festgestellt werden.
Vergleichsmethode für die numerischen Berechnungen
Für den Vergleich von Standorten werden die Resultate der numerischen Berechnungen herangezogen und anhand zweier radiologischer Kriterien bewertet. Das erste Kriterium ist das in ENSI-G03 festgelegte Schutzkriterium von 0.1 mSv/Jahr, das zweite der aus der StSV abgeleitete Wert von 0.01 mSv/Jahr, unterhalb welchem alle Standorte unabhängig von den errechneten Dosismaxima als sicherheitstechnisch gleichwertig betrachtet werden. Die Festlegung eines unteren Schwellenwerts für die potenzielle jährliche Personendosis ist nach der schweizerischen Strahlenschutzgesetzgebung gerechtfertigt. Gemäss StSV wird auf eine weitergehende strahlenschutztechnische Optimierung verzichtet, falls Personen eine effektive Dosis von weniger als 0.01 mSv/Jahr akkumulieren.
Der Vergleich zwischen möglichen Standorten wird deshalb wie folgt durchgeführt:
- Für jeden Standort soll mit einem Referenzszenarium der Zeitverlauf der realistischerweise zu erwartenden Dosen berechnet werden (Referenzfall). Das Referenzszenarium beschreibt die wahrscheinliche Entwicklung des Gesamtsystems (Tiefenlager, Nahfeld, Geosphäre und Nuklidtransport bis in die Biosphäre). Die in die Modellierung eingehenden Annahmen und Parameterwerte für den Referenzfall werden von den Entsorgungspflichtigen begründet. Sie geben gemäss Stand von Wissenschaft und Technik eine realistische Situation wieder. Diese Berechnung zeigt den zeitlichen Verlauf der Personendosis, deren Maximum den maximalen Wert der Personendosis im Referenzfall ergibt (grüner Punkt in Abbildung A3-1).
- Um für das Referenzszenarium die Robustheit sowie den Einfluss von Ungewissheiten und Variabilitäten beurteilen zu können, wird das Verhalten des Tiefenlagers für andere Entwicklungen (z.B. erhöhter Wasserfluss, früheres Versagen der HAA-Behälter, pessimistischere Werte für die Sorption) berechnet. Die Aufsichtsbehörde legt zu diesem Zweck ein standardisiertes Parametervariationsverfahren innerhalb des Referenzszenariums fest. Durch dieses Verfahren wird das Maximum der Personendosis im Parametervariationsverfahren (roter Punkt in Abbildung A3-1) ermittelt.
- Für jeden Standort ergibt sich daraus ein charakteristisches Dosisintervall als Mass für seine sicherheitstechnische Eignung. Das Dosisintervall erstreckt sich dabei von der im Referenzfall berechneten maximalen Dosis bis zu dem mit dem Parametervariationsverfahren bestimmten Dosismaximum (blaues Intervall in der untenstehenden Abbildung).
- Berücksichtigt werden nur Standorte, deren Dosisintervalle unterhalb des in ENSI-G03 definierten Schutzkriterium von 0.1 mSv/Jahr liegen. Diese Standorte werden als sicherheitstechnisch geeignet eingestuft. Die übrigen Standorte scheiden aus.
- Keine sicherheitstechnische Unterscheidung zwischen Standorten wird vorgenommen, falls ihre Dosisintervalle unterhalb von 0.01 mSv/Jahr liegen. Diese Standorte werden als sicherheitstechnisch gleichwertig betrachtet.
- Ein Standort, bei dem ein Teil des Dosisintervalls zwischen 0.01 und 0.1 mSv/Jahr liegt, bleibt im Standortwahlverfahren, falls sein Dosisintervall mit dem Dosisintervall des Standorts mit dem kleinsten Dosismaximum im Referenzfall (Standort 1 in der unten folgenden Abbildung) überlappt. Dieses Vergleichskriterium des Dosisintervalls wird verwendet, damit ein möglicherweise geeigneter Standort nicht aufgrund einer allenfalls noch unvollständigen Datengrundlage frühzeitig aus dem Verfahren ausscheidet.