Das ENSI hat 6 Vorschläge der Nagra von Standortgebieten für schwach- und mittelaktive Abfälle (SMA) und 3 Vorschläge für hochaktive Abfälle (HAA) überprüft. Es beurteilt alle Standortgebiete als geeignet und empfiehlt, alle Standortgebiete Etappe 2 des Sachplans geologische Tiefenlager weiter zu betrachten.
Teilweise bewertet das ENSI die Kriterien zu Sicherheit und Machbarkeit strenger als die Nagra. Dazu muss festgehalten werden, dass diese Bewertungen auf dem heutigen Stand des Wissens basieren und die Expertenmeinungen oft nur beschränkt voneinander abweichen. Nachstehend sind diejenigen Kriterien erläutert, die von Nagra und ENSI unterschiedlich bewertet wurden oder die vom ENSI nur als «bedingt günstig» angesehen werden.
Räumliche Ausdehnung: Beim Standortgebiet Nördlich Lägeren bestehen Unsicherheiten über das Ausmass der lokalen Zergliederung und damit über das Platzangebot, das vom ENSI nur als günstig und nicht als sehr günstig bewertet wird. Beim Wellenberg ergibt sich durch die vom ENSI geforderte Mindestüberdeckung von 500 m und dem Mindestabstand von 200 m zu den begrenzenden Kalkgesteinen mit möglicher Wasserführung ein reduziertes Platzangebot und damit ebenfalls nur eine günstige Bewertung.
Erosion: Die Reste verfestigter Schotter auf der Höhe des Südrandens und des Klettgaus, ebenso wie die über 1 Million Jahre alte und durch Gletscher wenig veränderte Talform des Klettgau interpretiert das ENSI als Zeichen für eine sehr geringe Erosion. Entsprechend bewertet es den Südranden bezüglich Erosion als sehr günstig. Für den Wellenberg gibt es hingegen aufgrund möglicher künftiger Gletschererosion und tiefreichender Hangrutsche nur eine bedingt günstige Bewertung. Solchen Erosionsvorgängen kann teilweise durch eine tiefere Lagerpositionierung begegnet werden.
Lagerbedingte Einflüsse: Im Vergleich zu anderen Wirtgesteinen (z.B. Granit) haben tonreiche Gesteine neben vielen Vorteilen auch gewisse Nachteile, insbesondere durch die Bildung einer Auflockerungszone im Nahbereich der Untertagebauten und in ihrem Verhalten bezüglich Temperatur, Gas und hohen pH-Werten. Das ENSI bewertet daher alle tonreichen Wirtgesteine in allen Standortgebieten strenger als die Nagra. Die Nachteile können jedoch durch technische Massnahmen beherrscht werden.
Nutzungskonflikte: In der Nähe des Standortgebiets Nördlich Lägeren werden Bohrungen zur Erkundung möglicher Erdgasvorkommen durchgeführt. In der Nähe des Bözbergs sollen Rohstoffe zur Zementherstellung abgebaut werden und am Jura-Südfuss bestehen überdurchschnittlich gute Bedingungen für die Nutzung der tiefen Erdwärme (Geothermie). Daraus könnten sich langfristig Nutzungskonflikte ergeben. Das ENSI hat diese Möglichkeit bei seiner Bewertung berücksichtigt.
Explorierbarkeit der räumlichen Verhältnisse: Am Bözberg bestehen aufgrund des hügeligen Reliefs erschwerte Bedingungen für seismische Erkundungen. Daher bewertet das ENSI dieses Standortgebiet bezüglich Explorierbarkeit lediglich als günstig. Als nur bedingt günstig beurteilt es diesbezüglich den Jura-Südfuss (grössere Gewässerflächen, junge Schotter und Bebauung) und den Wellenberg, weil seismische Erkundungen in den dortigen Mergelanhäufungen nicht anwendbar sind.
Prognostizierbarkeit der Langzeitveränderungen: Da die Prognostizierbarkeit von Langzeitveränderungen durch Gletschererosion und Hangrutsche am Wellenberg, wie in den Alpen generell, vermindert ist, bewertet das ENSI dieses Kriterium als nur bedingt günstig.
Felsmechanische Eigenschaften und Bedingungen: Aufgrund der starken Tektonisierung der Mergel bewertet das ENSI den Wellenberg bezüglich der Felsmechanik als nur bedingt günstig. Ebenfalls nur bedingt günstig werden aufgrund lokaler tektonischer Zergliederung die Standortgebiete in der Vorfaltenzone (Nördlich Lägeren, Bözberg) und am Jura-Südfuss bewertet, während bei relativ ruhiger Lagerung im Tafeljura (Südranden, Zürcher Weinland) derartige Zergliederungen selten sind. Bei einer Tiefenlage des HAA-Lagers unter 650 m sind die bautechnischen Bedingungen in allen Standortgebieten erschwert.
Untertägige Erschliessung und Wasserhaltung: Am Jura-Südfuss ist durch die Nähe zu wasserführenden Kalken des Jura möglicherweise mit erhöhtem technischem Aufwand zu rechnen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die abweichenden Bewertungen zwischen Nagra und ENSI geringfügig sind und keine Auswirkungen auf den Einengungsprozess der Standortgebiete haben.